Geschärfter Blick aufs Risiko

 Themenschwerpunkt Künstliche Intelligenz und Insurtechs  Vielversprechend einsetzbar ist künstliche Intelligenz im Bereich der Risikobewertung und des Underwriting. Hier lassen sich vorhandene Daten miteinander kombinieren und für die Preisberechnung verwenden. Versicherer sollten sich das Geschäft nicht aus der Hand nehmen lassen.

Der humanoide Roboter Sophia wird für ein Treffen mit Investoren in Kiew vorbereitet. Sophia besitzt künstliche Intelligenz und kann Gesichter erkennen.

@ picture alliance/ NurPhoto

Der Kunde macht eine Kniebeuge und nimmt die Übung mit seiner Handykamera auf. Eine auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Software beurteilt die Bewegung, sieht die Schwachstelle: Der Kunde dreht das Knie zu weit nach außen. Das Programm erkennt das Risiko einer Fehlbelastung und benennt die Schwachstelle, etwa den unteren Rücken.

Um einer falschen Muskelbelastung vorzubeugen, bekommt der Kunde bestimmte Übungen vorgeschlagen, mit denen er gegensteuern kann. Wenn er möchte, kann er die Daten mit seinem Physiotherapeuten oder seinem Versicherer teilen. Der Physiotherapeut weiß dadurch in der nächsten Therapiestunde bereits, wo er ansetzen muss. Der Lebens- oder Krankenversicherer kann sich viel Papierarbeit bei der Risikoprüfung sparen. Möglich wird das mit der App Aimo, die das schwedische Start-up Aimo Health programmiert hat. „Uns war wichtig, dass der Kunde selbst entscheidet, mit wem er die Daten teilt“, sagt Aimo Health-Mitgründer und Geschäftsführer Danny Dressler.

Schnittstelle zum Versicherer sollen die Makler sein, über sie soll die Risikoprüfung ablaufen. „Gibt es vor Vertragsabschluss in einer ersten Übungsbewegung Abweichungen, stellt die App weitere Fragen“, erklärt Dressler. Noch ist die Anwendung nicht auf dem Markt erhältlich, sie soll aber in wenigen Wochen gelauncht werden. Als ersten deutschen Versicherungspartner konnte Aimo den Versicherer HDI gewinnen.

Kleine Firmen mit KI versichern

Das junge Unternehmen hat eine Förderung über das Londoner Accelerator-Programm Start-up Bootcamp erhalten, wo sich auch viele Versicherer und Rückversicherer tummeln. So kam Aimo mit dem Rückversicherer Gen Re in Kontakt. Dessen Erstversicherungskunden sollen nach Markteintritt die Dienstleistung bevorzugt nutzen können. „Immer mehr Versicherer suchen nach Lösungen im Bereich künstliche Intelligenz und Risikobewertung“, sagt Ross Campbell, bei Gen Re als Leitender Underwriter im Bereich Lebens- und Krankenversicherung tätig und außerdem für den Bereich Innovation und Insurtechs verantwortlich. „Wir als Rückversicherer wollen ihnen dabei helfen, agile Geschäftsmodelle zu entwickeln und innovativ zu sein.“

Der Roboter Liku des koreanischen Unternehmens Torooc sieht niedlich aus und zielt auf Emotionen. Er soll menschlich auftreten und seinem Besitzer das Gefühl vermitteln, dass er gemocht wird. Sein Kopf reagiert auf Berührungen

© picture alliance/ dpa Themendienst

Den Bereichen Underwriting und ­Risikobewertung messen Experten eine besondere Bedeutung bei, wenn es um den Einsatz von künstlicher Intelligenz geht.  „KI bietet Potenzial, komplexe und heute von Menschen durchgeführte Prozessschritte zu automatisieren“, sagt Andrea Cornelius, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Beratungsfirma Elaboratum und Lehrbeauftragte für Digital Technology, Entrepreneurship und Marketing Management an der Hochschule für angewandte Wissenschaften München.

Außerdem kann die Technologie bei der Risikobewertung kleinerer und ­mittelständischer Unternehmenskunden helfen. „KI kann die Underwriter bei der Analyse von Versicherungsanträgen, dem Abgleich mit Richtlinien und der Erstellung von Risikoprofilen unterstützen“, ­erläutert sie. „Zudem können Informationen zu ähnlich gelagerten Kunden­situationen und Best-Practice-Beispielen bereitgestellt werden, um bei der Entscheidungsfindung zu helfen.“

Nicht alles aus der Hand geben

Auch Johannes-Tobias Lorenz, Senior Partner und Leiter im Bereich Digital Insurance beim Beratungsunternehmen McKinsey, hält den Einsatzbereich „Kleine und mittelgroße Unternehmen“ für vielversprechend. „Hier ist es möglich, deutlich trennschärfere Risikoprofile zu erstellen, wenn Advanced Analytics und künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen“, sagt er.

Lorenz rät Versicherern, beim Pricing und im Underwriting die Dinge nicht aus der Hand zu geben. „Heutzutage sollten Versicherer auch bei einer so komplexen Technologie wie künstlicher Intelligenz genau entscheiden, wie sie sich im Wettbewerb differenzieren können. Bei künstlicher Intelligenz sollte man bei der Beschaffung und Strukturierung von Daten sicherlich auf externe Quellen und Dienstleister zurückgreifen – die Algorithmen, also die wirkliche Intelligenz, sollten in-house entwickelt und programmiert werden.“

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Vielseitige Einsatzbereiche

Der Rückversicherer Munich Re nutzt etwa Millionen von bereits struk­turierten Daten, um eine bessere Prävention in der Gebäudeversicherung zu ermöglichen. „Das System kombiniert die Infor­mationen und kann gut vorhersagen, ­welche Faktoren bei einem Gebäude mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu ­einem Leitungswasserschaden führen“, berichtet Wolfgang Hauner, Chief Data Officer bei Munich Re. „Da spielen ­Angaben zur Größe des Hauses genauso eine Rolle wie historische Wetterdaten, thermische Schwankungen, die Härte des Wassers oder das Alter der Rohre.“ So sei für das Unternehmen gut ­voraus­zusehen, welche Kombination welcher Faktoren
zu welcher Wahrscheinlichkeit von ­Schäden führt. „Dann kann der Versicherer mit dem Eigentümer ins Gespräch gehen und Präventionsanregungen geben“, sagt er.

Das lohnt sich. Leitungswasserschäden machen einen riesigen Teil der Schadenzahlungen deutscher Versicherer aus, 2017 waren es nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft mehr als 2,6 Mrd. Euro.

Welche Schiffe sicher fahren

Die Auswertung und Kombination von Daten nutzt nicht nur in der Gebäude­versicherung. So hat die Beraterfirma ­Bearing Point für einen Kunden Flotten- und Schiffsprofile erarbeitet, auf deren Basis Risikovorhersagen getroffen werden können, die mit traditionellen Methoden nicht möglich waren. Berücksichtigt ­haben die Berater die Vergangenheit eines Schiffs, sein Alter, das Land der Registrierung und die Versicherungsanmeldung. Sie kamen zu interessanten Korrelationen: Ein Schiff, das unter der Flagge von Singapur fährt und zu einer Flotte mit einem verhältnismäßig hohen Transportaanteil von flüssigen Massengütern zählt, ist ­1,3-mal sicherer als der Durchschnitt.

Anne-Christin Gröger

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