Gasmarkt – Der deutsche Gasmarkt wird sich in den kommenden Jahren durch Fusionen drastisch verändern. Die Unabhängigkeit reiner Zwischenhändler steht zur Disposition. Seite 6.
Die Karlsruher Energie Baden-Württemberg (En BW) und der italienische Öl-und Gaskonzern Eni sind fest entschlossen, die Gasversorgung Süddeutschland (GVS) mit Sitz in Stuttgart zu übernehmen. Sie wollen die Ferngasgesellschaft zu einem Gegengewicht zur mächtigen Ruhrgas aufbauen. Dies wäre der Auftakt zu einem weitreichenden Umbau am deutschen Gasmarkt.
Bevor das Erdgas beim Kunden ankommt, hat es bis zu fünf Stationen passiert, vom Importeur – rund 80 Prozent des hier verbrauchten Gases kommen aus dem Ausland – bis zum Stadtwerk. Dazwischen liegen in der Lieferkette die Ferngasgesellschaften und Regionalverteiler. Sie kaufen das Gas bei den Importeuren, transportieren es durch ihre Netze in die Regionen und verkaufen es dort an andere Gasunternehmen weiter. In einem liberalisierten Gasmarkt mit Wettbewerb um Kunden und Druck auf die Preise steht die Existenzberechtigung dieser Zwischenhändler in Frage.
Die vielgliedrige Lieferkette macht bis zu zwei Drittel des Erdgaspreises beim Endverbraucher aus, hat das US-Beratungsunternehmen AT Kearney errechnet. Die Kunden werden das künftig nicht mehr akzeptieren, glaubt Berthold Hannes, bei AT Kearney zuständig für die Energiewirtschaft in Zentraleuropa.
Die Berater haben verschiedene Szenarien für die Struktur des deutschen Gasmarktes in fünf Jahren erstellt. Wie stark sich der Markt verändert, hängt demnach entscheidend davon ab, wie viele Kunden ihrem traditionellen Gasversorger den Rücken kehren. Vier von fünf Industriekunden könnten sich dies vorstellen, fand AT Kearney heraus.
Besonders Großkunden werden versuchen, ihr Gas möglichst nah an der Quelle zu kaufen. Neue Anbieter und etablierte Importeure gehen auf diese Kunden zu. Marktanteile verlieren werden vor allem die Ferngasgesellschaften und Regionalverteiler.
Die reinen Verteiler versuchen auf unterschiedlichen Wegen, ihre Haut zu retten. GVS-Chef Jürgen Leßner wollte sein Gas billiger einkaufen und fragte direkt bei den Produzenten in Norwegen und Russland an – die ließen ihn jedoch abblitzen. Über die italienische Eni tun sich jetzt neue Bezugsmöglichkeiten für die GVS auf, dafür würde sie aber ihre Eigenständigkeit verlieren.
Auch die Bayerngas in München will den Erdgaspreis im Freistaat wettbewerbsfähiger machen. Geschäftsführer Ulrich Mössner möchte sein Unternehmen mit der Erdgas Südbayern und der Erdgasversorgung Schwaben zusammenlegen, die beide ebenfalls nur Weiterverteiler sind. Zweistellige Millionenbeträge ließen sich so im Jahr einsparen, schätzt er. Bisher haben Streitigkeiten unter den Gesellschaftern einen Zusammenschluss aber verhindert. Seit der Veba-Viag Fusion ist die neu entstandene Eon an allen Versorgern beteiligt, die Chancen auf eine Einigung sind gestiegen.
Die Saar Ferngas versucht, durch Beteiligungen an Stadtwerken ihren Absatz zu sichern. Der Gasverkauf ging im vergangenen Jahr zurück. Auch deshalb, weil der Chemiekonzern BASF jetzt von der eigenen Tochter Wingas statt vom Zwischenhändler beliefert wird. In der Branche heißt es, der französische Staatsmonopolist Gaz de France wolle in Saarbrücken einsteigen.
Die ehemalige Westfälische Ferngas aus Dortmund ist mittlerweile in der RWE Gas aufgegangen. Mit dem Importeur Thyssengas und zahlreichen Stadtwerke-Beteiligungen unter dem gleichen Dach entstand ein integrierten Gasversorger. „Bisher waren Fusionen wie die von RWE und VEW von den Entwicklungen im Strommarkt getrieben. Künftig wird es zu eigenständigen Gas-Fusionen kommen“, glaubt Berater Hannes.
Rainer Seele, Vertriebschef beim deutsch-russischen Gasimporteur Wingas aus Kassel, würde die reinen Weiterverteiler am liebsten ganz vom Markt verbannen. Von einem Beitrag zur Wertschöpfung könne man bei diesen Unternehmen gar nicht sprechen, schimpft er. Die deutsche Gaswirtschaft müsse sich insgesamt effektiver und kostengünstiger aufstellen: „Liberalisierung kann nicht nur an der Grenze stattfinden. Wir können nicht nur von den Lieferanten Preissenkungen verlangen.“
Katrin Berkenkopf
Quelle: Financial Times Deutschland
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