Wer in diesen Tagen die Versicherungsagentur von Hans Wirz und seinen beiden Partnern betritt, kann sicher sein, nach seiner privaten Altersvorsorge gefragt zu werden. Das bleibt auch der jungen Frau nicht erspart. Sie möchte nach der Trennung von ihrem Freund ihre Haftpflicht-und Hausratversicherung in der Allianz-Generalvertretung in der Kölner Südstadt umschreiben lassen. „Haben Sie schon mal was von Riester gehört?“, fragt Wirz routiniert geschäftstüchtig. Hat sie. Aber über den Abschluss einer Police will sie erst in ein paar Monaten nachdenken. „Wenn der erste Trennungsschmerz vorbei ist“, antwortet sie.
Überhaupt scheint kaum einem Kunden der Agentur Wirz die Frage nach der privaten Altersvorsorge wirklich unter den Nägeln zu brennen. Das gilt genauso für Wirz, seine Partnern und die zwei Außendienstmitarbeiter. Dabei erwartet ihr oberster Dienstherr, Allianz-Vertriebschef Hansjörg Cramer, dass jeder seiner Leute in den kommenden 18 Monaten 90 bis 100 Policen verkauft. Die Truppen der Konkurrenz sind längst losmarschiert. Die Vertreter der Ergo-Tochter Victoria haben bereits mehr als 65000 Riester-Verträge abgeschlossen, macht für jeden von ihnen rein rechnerisch 15. Davon sind die Mitarbeiter der Agentur Wirz noch weit entfernt. Eine Hand voll Produkte für die private Altersvorsorge haben sie bislang verkauft.
Erst zwei Monate nach der Verabschiedung des Altersvermögensgesetzes ist das Werbematerial aus dem Stuttgarter Hauptquartier in der Kölner Volksgartenstraße angekommen. Mit dem Auspacken hatten es die Vertreter nicht eilig. Ihre Kunden erhalten ohnehin erste Informationen zur Riester-Rente von der Allianz-Zentrale. Sie schreibt bis Mitte August 780 der mehr als 7500 Agentur-Kunden an. „Bedient werden alle zwischen 18 und 50 Jahren, die bei uns eine Lebens-oder Rentenversicherung abgeschlossen haben“, erklärt Gaby Martens, Partnerin der Generalvertretung Wirz. Im Oktober oder November erfolgt die nächste Aussendung an Kunden mit einer Sachversicherung.
Euphorie flammt bei Martens und Wirz nicht gerade auf, wenn sie über die Riester-Rente reden. „Wir haben noch nicht darüber nachgedacht, wie viele Verträge wir wohl abschließen werden und was wir damitverdienen können“, behauptet Wirz. Reich werden er und seine Kollegen durch die private Altersvorsorge kaum, die Provisionen liegen deutlich unter denen, die etwa herkömmliche Kapitallebensversicherungen bringen.
Neun Kilometer Luftlinie entfernt ist die Stimmung ähnlich. Auch bei Allianz-Mann Ernst-Friedrich Kamp von der Generalvertretung Jürgen Keller in Köln-Longerich gibt man sich noch gelassen. „Schon Anfang des Jahres haben mich Kunden auf die private Altersvorsorge angesprochen“, berichtet der Versicherungsmann. Er hat ihnen zu verstehengegeben, dass kein Anlass zu Hektik besteht – und ein Verzeichnis der Interessenten angelegt. Nach und nach wird er die Liste abarbeiten. „Ich gehe davon aus, dass es im zweiten Halbjahr losgeht“, sagt er.
In der unmittelbaren Nachbarschaft der Allianz-Vertretung in der Kölner Grethenstraße haben noch sieben andere Versicherungen Agenturen. In den Briefkästen seiner Kunden stapelt sich die Reklame der Konkurrenz, weiß Kamp. Trotzdem gehen er, seine beiden Partner und die zwei Kundenbetreuer das Riester-Geschäft mit Bedacht an. Siehaben noch keinen einzigen Vertrag abgeschlossen. Die 50 bestellten Sätze Werbematerial aus der Zentrale ruhen noch in ihren weißen Kartons. Von den 4000 Kunden, die in der Kartei stehen, kommen 2200 für die staatlich geförderte Altersvorsorge in Frage, sagt Kamp.
Auch sie erhalten nach und nach Post aus Stuttgart. Danach klappern die Vertreter die Kunden ab. Bis zum Ende des Jahres wollen die fünf Allianz-Leute insgesamt 100 Riester-Verträge unter Dach und Fach bringen. „Wenn wir es schaffen würden, bis Ende nächsten Jahres 500 Verträge abzuschließen, wäre ich selbst beeindruckt“, sagt Kamp.
Doch bei aller Gelassenheit – auch in der Generalvertretung Jürgen Keller nutzen die Mitarbeiter jeden Kundenkontakt, um über die private Altersvorsorge zu sprechen. Denn schließt einer ihrer Kunden woanders eine Riester-Police ab, könnte er auch mit den übrigen Versicherungen abwandern.
Schon aus diesem Grund muss sich Kamp trotz geringer Gewinnerwartungen um das Riester-Geschäft kümmern, ob er will oder nicht. „Klar ist das ein Geschäft für mich“, sagt er fast trotzig und verschränkt die Arme vor der Brust. „Aber es ist relativ viel Arbeit.“ Denn der Kunde muss nicht nur vor einem Vertragsabschluss eingehend beraten werden. „Wir werden jeden Vertrag mindestens einmal im Jahr anfassen müssen“, fürchtet Kamp. Gleichgültig ob der Kunde seinen Job verliert, sein Beschäftigungsverhältnis wechselt oder heiratet – er wird die Wendeltreppe zu Kamps Büro hinaufsteigen und ihn fragen, was das für die private Altersvorsorge bedeutet.
Keiner der Allianz-Verkäufer spricht mit echter Begeisterung über die Riester-Rente. Ziemlich bemüht wiederholen sie immer wieder, wie überzeugt sie selbst von der privaten Altersvorsorge seien, dass dank Riester die Akzeptanz für diese Produkte steige und was für ein sicheres, kontinuierliches Geschäft auf sie warte. Aber die Behauptung, die Riester-Rente wäre ein Riesengeschenk für die Versicherungsvertreter, löst bei Martens und Wirz gerade mal ein müdes Lächeln aus. Und Kamp ist nicht einmal das abzuringen. Trocken sagt er: „Ich wüsste nicht,welche Farbe die Schleife für dieses Geschenk haben sollte.“
Quelle: Financial Times Deutschland
Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.
Diskutieren Sie mit
Kommentare sind unseren Abonnenten vorbehalten. Bitte melden Sie sich an oder erwerben Sie hier ein Abo