Kanzler Schröders Auftrag an seinen Arbeitsminister war klar: Walter Riester sollte dafür sorgen, dass die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht über 22 Prozent steigen, trotz ungünstiger Bevölkerungs-und Arbeitsmarktentwicklung. Das war Teil des Schröder’schen Versprechens, die Lohnnebenkosten zu senken, um Unternehmen und Arbeitsmarkt nicht weiter zu belasten.
Herausgekommen sind Rentenreform und Altersvermögensgesetz. Die gesetzliche Altersrente wird spürbar gekürzt, gleichzeitig werden die Bürger bei der privaten Vorsorge vom Staat unterstützt. Mit diesen Maßnahmen leitet die Regierung einen Systemwechsel in der Altersvorsorge ein, dessen weit reichende Auswirkungen die meisten Deutschen bisher kaum ahnen.
Gleichzeitig trägt Riester mit dem Einstieg in die private Rente maßgeblich zum Umbruch in der deutschen Finanzwirtschaft bei. Die Übernahme der Dresdner Bank durch die Allianz, eine der größten Transaktionen der deutschen Unternehmensgeschichte, wurde von Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle ausdrücklich mit den Erfordernissen des neuen Altersvorsorgemarktes begründet.
Gegen den Schwenk in Richtung private Altersvorsorge gibt es erstaunlich wenig Widerstand. Gewerkschaften und Arbeitgeber wurden über die Einbindung der betrieblichen Altersvorsorge in das Paket ruhig gestellt.
Gut verkauftes Paket In der Öffentlichkeit hat die Riester-Rente bisher ein gutes Ansehen, denn die Regierung hat das Gesetzespaket geradezu genial verkauft: Der staatliche Zuschuss zur Beitragszahlung steht im Mittelpunkt. Dazu trägt auch die reißerische Werbung mancher Anbieter bei. Letztlich bedeutet die Riester-Rente aber, dass Rentenversicherte schließlich vier Prozent mehr Beitrag zahlen müssen – abzüglich der staatlichen Förderung -, nur um das bisherige Rentenniveau zu erhalten.
Der Umfang des privaten Sparens für das Alter wird zunehmen. Das zeigen Erfahrungen in anderen Ländern. In Deutschland stammen heute 81 Prozent der Einkommen von Rentnerhaushalten aus dem staatlichen Basissystem, 13 Prozent aus freiwilliger Vorsorge und sechs Prozent aus betrieblicher oder berufsständischer Versorgung. In den USA liegt der staatliche Anteil bei nur 45 Prozent, in der Schweiz bei 42 Prozent, in den Niederlanden sind es 50 Prozent und in Großbritannien 65 Prozent.
Ein gewaltiger Markt für die Finanzdienstleister tut sich auf, wenn, wie erwartet, rund 25 Millionen neue Verträge abgeschlossen werden. Die Finanzdienstleister rechnen mit einem Markt von 6 Mrd. Euro im Jahr 2002. Wenn das System ab 2008 voll etabliert ist, werden etwa 44 Mrd. Euro jährlich in die Kassen der Anbieter gespült, davon10Mrd. Euro aus dem staatlichen Zuschuss.
Die Versicherer hoffen auf ein großes Stück von diesem Kuchen – die Schätzungen reichen bis 70 Prozent oder 31 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Die gesamte Lebensversicherungsbranche verzeichnete in 2000 Beitragseinnahmen von 60 Mrd. Euro. „Die Rentenreform eröffnet eine historisch einmalige Chance“, weiß Norbert Kox, Chef der HDI-Töchter PB und CIV Versicherungen.Die Hoffnungen der Assekuranz sind begründet. Denn die Riester-Rente ist so geschnitten, dass deren Lösungen am besten passen. Die Fonds gewinnen mit, denn viele der Lebens-Policen werden zumindest teilweise in Investmentfonds angelegt. Reine Fondsangebote haben das Problem, dass der geforderte Kapitalerhalt – die Mindestverzinsung null Prozent – bei ihnen Rendite kostet, ähnlich ergeht es auch den Banken mit Sparplänen. Die Bausparkassen finden zu Recht, dass die jetzt gefundene Kompromisslösung zum Wohneigentum kompliziert und unattraktiv ist.
Große Versicherer gewinnen Der Riester-Markt wird nur einmal verteilt – in den Jahren 2001 und 2002. Deshalb sind die Verkaufstruppen schon unterwegs, hängen die Innenstädte voll mit Plakaten und werden die Versicherungskunden mit Werbepost zugeschüttet. Für die Versicherer kann es eigentlich nichts Besseres als Riester geben: eine Regierung, die den Bürgern rät, privat vorzusorgen, die gleichzeitig Zuschüsse zahlt, und eine Bevölkerung, die über die staatliche Rentenpolitik zutiefst verunsichert ist.Doch nicht die ganze Branche jubelt. Es gibt Versicherer, die etwas weniger enthusiastisch sind. Sie zweifeln, ob die Riester-Reform der Branche wirklich nur nützt – oder nicht auch zu dem tief greifenden Umbruch führen könnte, vor dem sich viele Manager fürchten. Es dämmert immer mehr Vorständen kleiner und mittlerer Gesellschaften, dass ihre Unternehmen unter die Räder kommen könnten. Anders dagegen die Marktführer Allianz und Ergo, die zur Münchener-Rück-Gruppe gehört. Sie halten sich mit Kritik an der Riester-Rente zurück – aus gutem Grund: Tatsächlich werden vor allem die großen Versicherer profitieren, erstens deshalb, weil die betriebliche Altersvorsorge einer der wichtigsten Teile der Riester-Rente werden wird und rund 50 Prozent des Marktes ausmachen könnte. Hier haben nur die Großen das Know-how und die Finanzkraft, große Belegschaften oder Tarifgruppen abzusichern. Zweitens besitzen sie eigene Fondsgesellschaften und enge Vertriebsbeziehungen zu Banken. Allianz und Ergo führen hier das Feld an. Auch die öffentlichen Versicherer mit ihren Kooperationspartnern, den Sparkassen, und der genossenschaftliche Verbund aus Raiffeisen-und Volksbanken mit der R+V-Versicherung gehören zu den voraussichtlichen Gewinnern. Für die kleinen und mittleren Lebensversicherer wird die Riester-Rente sehr kostenträchtig, weil sie zum Beispiel Fonds zukaufen müssen und hohe Kosten für die Motivierung ihres Außendienstes haben.Arbeitsminister Riester, der frühere Metall-Gewerkschaftsführer, trägt so dazu bei, dass die lange überfällige Straffung des Versicherungs-und Finanzdienstleistungsmarktes endlich in Gang kommt – spätestens im Jahr 2002, wenn Unternehmensverkäufe und Zusammenschlüsse auch noch steuerfrei sind.
Quelle: Financial Times Deutschland
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