Allianz sucht nach Chancen in der Krise

Von Herbert Fromme und Rolf Lebert, München Die Allianz hat in ihrer 111-jährigen Geschichte viele Turbulenzen überstanden. Aber im Moment befindet sie sich in einem besonders unkomfortablen Marktumfeld. Die Preise in mehreren Kernsparten, zum Beispiel der Industrieversicherung, waren jahrelang im Keller und gehen erst jetzt nach oben, die wichtige Autoversicherung in Deutschland macht weiterhin Verluste. Mit dem Einbruch der Aktienmärkte fehlen die Ausgleichsmöglichkeiten – im Gegenteil, die fallenden Kurse kosten sogar Eigenkapital. Dazu kommen die Probleme der gerade erst übernommenen Dresdner Bank. Der Terrorangriff macht das unschöne Bild komplett.

Aber Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle widersteht der Versuchung, alle Probleme mit dem Anschlag vom 11. September zu erklären. Die Attacke habe direkt vor allem das Industrie-und Gewerbegeschäft der Gruppe getroffen, die netto 1,5 Mrd. Euro für Schäden aus dem World Trade Center zahlen muss. Doch sei die Welle von Preiserhöhungen nicht mit dem 11. September zu begründen – schon vorher seien die Raten völlig unzureichend gewesen. „Jetzt steigen die Preise ein wenig schneller, und unsere Kunden verstehen das auch eher.“

Gleichzeitig hat New York der Branche bisher ungekannte Risiken aufgezeigt. „Früher konnte man sich doch nicht vorstellen, dass Flugzeuge als fliegende Bomben zur Zerstörung von Gebäuden wie dem World Trade Center eingesetzt werden.“ Schulte-Noelle sprach sich erneut für einen Terror-Pool aus, in dem die Versicherungswirtschaft ihre Kapazitäten für solche Deckungen bündelt. „Schäden, die darüber hinausgehen, müsste die Regierung übernehmen. Wenn sie das tut, wird die Versicherungsbranche hohe Kapazitäten für den Pool bereitstellen.“ Eine genaue Zahl wollte Schulte-Noelle nicht nennen. „1 Mrd. Euro wäre bestimmt zu wenig.“

Viel härter als der Schaden aus dem Anschlag auf das World Trade Center trifft der Rückgang der Aktienkurse den Konzern. Sein Eigenkapital lag am 30. September mit 28,7 Mrd. Euro um 6,9 Mrd. Euro oder 19 Prozent unter dem Wert vom 31. Dezember 2000, weil die Aktien in ihrem Bestand weniger wert waren. Trotzdem fühlt sich die Gruppe hervorragend aufgestellt, um die Chancen aus der Marktverhärtung zu nutzen. „Wir brauchen nicht mehr Kapital“, sagte Schulte-Noelle. „Jede unserer Konzerngesellschaften im Schaden-und Unfallbereich, die zum Ausbau ihres Geschäfts zu guten Preisen mehr Kapital braucht, hat eine gute Chance, das zu bekommen.“

In der Konsolidierung der Versicherungsmärkte werde der Konzern weiter eine aktive Rolle spielen, allerdings vor allem im Ausland. „Unser Marktanteil in Deutschland ist groß genug“, sagt Schulte-Noelle. „Wir haben keinerlei Pläne, ihn durch Übernahmen zu vergrößern. Da steht nichts an.“ Auch über die mögliche Übernahme von Gesellschaften in Schwierigkeiten wollte er nicht spekulieren. „Zur Zeit sehe ich auch keine notleidenden Unternehmen.“

Schulte-Noelle verteidigte die Übernahme der Dresdner Bank. „Der Kunde wünscht künftig viele Finanzdienstleistungen aus einer Hand.“ Die Ankündigung des langjährigen Dresdner-Bank-Partners DVAG, ein Vertriebsabkommen mit der Deutschen Bank zu schließen, zeige den begrenzten Wert von Kooperationsvereinbarungen. „Zwei Unternehmen haben heute dieselben Prioritäten, morgen schon nicht mehr“, sagte Schulte-Noelle.

Wenn man aber im Asset Management ein großer Spieler sein wolle, brauche man den Bankvertriebsweg. Schulte-Noelle sieht weiteren Bedarf für die Restrukturierung der deutschen Bankenbranche. „Die schwierigen Marktbedingungen erhöhen den Druck. Filialen werden geschlossen, Personal wird abgebaut.“ Nach der Fusion der drei Hypothekenbanken werde es hoffentlich auch im Transaction Banking zu Lösungen kommen.

Die Übernahme der Bank sei eine Antwort auf eine sehr spezifische Situation in Deutschland gewesen. „Wir wollen jetzt nicht überall Banken kaufen.“ Dieser Deal sei kein Exportmodell. Aber Schulte-Noelle schränkte ein: „Wenn wir ein paar Jahre weiter sind und das Umfeld in einem integrierten Europa anders ist, wenn dann jemand kommt und nach dem Vorbild Allianz/Dresdner eine Lösung vorschlägt, dann wären wir offen für Gespräche.“

Die Zukunft der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein (DKW) sieht Schulte-Noelle im eigenen Konzern. Der im April 2001 angekündigte Börsengang sei so nicht mehr durchführbar. „Jetzt bringen wir die Investmentbank und das Firmenkundengeschäft zusammen“, sagte er. Das sei ein logischer Schritt, da vor allem die Betreuung des Mittelstandes einen langfristigen integrierten Ansatz brauche. „Banking ist jetzt Teil unseres Kerngeschäfts.“ Die Entscheidung Bruce Wassersteins, DKW zu verlassen, habe keinen Einfluss auf die Strategie.

Der Bankvertrieb ist für Schulte-Noelle auch in Frankreich sehr wichtig. Deshalb will die Allianz bei der Privatisierung von zehn Prozent der Aktien des Crédit Lyonnais (CL) dabei sein. „Der CL ist für uns ein gutes Finanzinvestment, aber auch von strategischem Interesse.“ Seit langem arbeite die Tochter AGF gut mit dem CL zusammen. „Wenn die Aktionärsstruktur sich so verändert, dass unsere unternehmerischen Interessen tangiert werden, müssen wir überlegen, wie wir reagieren.“

Zitat:

„Wir haben keine Pläne für Übernahmen in Deutschland“ – Henning Schulte-Noelle

Quelle: Financial Times Deutschland

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