Von Herbert Fromme, Köln Urlaubsanträge wurden gestrichen, Flüge mussten storniert werden, Ehekrisen wegen der gestrichenen Feiertage gemeistert werden. Für einige Tausend Männer und Frauen in der Versicherungs-und Rückversicherungswirtschaft heißt es in diesem Jahr: arbeiten bis zum 31. Dezember 2001, 24 Uhr. Bis dahin sollen die Verträge ausgehandelt und unterschrieben sein. Die Experten sind sich sicher, dass selbst dann nicht alle Geschäfte in trockenen Tüchern sind.
Der 11. September hat die Rückversicherungsmärkte drastisch verändert. Die größten Marktteilnehmer waren bis vor wenigen Wochen nicht bereit, überhaupt Verträge zu zeichnen. Sie wollten erst die Erfahrungen aus dem New Yorker Anschlag aufarbeiten, so die offizielle Begründung. Inoffiziell war auch zu hören, dass man den Verlauf des Krieges in Afghanistan abwarten wolle – schließlich sei ein weiterer Terroranschlag nicht auszuschließen. Das aber hätte alle Kalkulationen endgültig durcheinander gebracht.
Gleichzeitig warten einige Erstversicherer, die Kunden der Rückversicherer sind, mit den Abschlüssen – sie hoffen (meist vergeblich), doch noch günstigere Angebote zu bekommen. Die geforderten Preise liegen inzwischen um rund 30 Prozent über dem Vorjahr, in Einzelfällen über 100 Prozent.
Die meisten Rückversicherungsverträge werden jährlich neu abgeschlossen. Münchener Rück, Swiss Re oder General Cologne Re geben Erstversicherern wie Allianz, Axa oder Aachen Münchener Schutz gegen Katastrophen, sie beteiligen sich an Massenrisiken wie der Autoversicherung, um einen Ausgleich herzustellen, und sie übernehmen die große Teile von schweren Risiken wie Industrieanlagen. Die Rating-Agentur Standard & Poor’s (S&P) schätzt den weltweiten Markt für Rückversicherungen auf 110 Mrd. $ Prämieneinnahmen.
Die Vertragserneuerung für 2002 muss bis Ende 2001 vollzogen sein, sonst sind viele Erstversicherer (jedenfalls technisch) insolvent oder ihre Kunden unversichert. Früher waren die Rückversicherer auf Anfrage großzügig und haben die alten Verträge gegen Mehrprämie um einige Monate verlängert, um dann in Ruhe zu verhandeln. „Das gibt es bei uns in diesem Jahr nicht“, erklärte ein Manager der Münchener Rück.
Ohnehin sind die Sitten zurzeit hart. Viele Verträge sind einseitig und ohne Angebot von Alternativen gekündigt worden. Die Schweizer Rück hat eine als „Schwarze Liste“ in der Branche zirkulierende Auflistung von Risiken aufgestellt, die auf keinen Fall ohne Einzelfallprüfung rückgedeckt werden, die meisten davon Pharmafirmen.
Eine solche Marktlage zieht frisches Kapital an. Kapitalerhöhungen und Neugründungen von Rückversicherern seit dem 11. September summieren sich schon heute auf 24,4 Mrd. $, davon 6,6 Mrd. $ bei gänzlich neuen Rückversicherern, die steuergünstig auf Bermuda gegründet wurden. Aber auch diese Kapazität erleichtert das Los der gequälten Rückversicherungseinkäufer bei den Erstversicherern wenig. Selbst wenn die New Yorker Katastrophe in der unteren Hälfte der Schätzungen bleibt, gibt es einfach viel zu wenig Rückversicherungskapazität. Und außerdem wollen sie nicht irgendeine Rückdeckung, sondern gerade nach den Erfahrungen der letzten Wochen erstklassige Deckungen mit hoher Sicherheit. „Wir werden unseren Marktanteil deshalb steigern“, ist sich Hans-Jürgen Schinzler sicher, der Chef des Marktführers Münchener Rück.
Brutale Konkurrenz
In den letzten Jahren haben die Rückversicherer die Preise selbst nach unten getrieben.
Messlatte
Zentraler Erfolgsanzeiger ist die Combined Ratio oder Schaden-und Kostenquote. Sie gibt das Verhältnis von Schäden plus Kosten zu Prämieneinnahmen an.
Verlust
Die durchschnittliche Combined Ratio lag 1999 und im Jahr 2000 bei 113 Prozent – 2001 werden es 140 Prozent sein. Für jeden Prämien-Dollar, den die Rückversicherer einnehmen, müssen sie 1,40 $ zahlen.
Hoffnungen
In 2002 will die Branche unter 105 Prozent erreichen.
Kapitalmarkt
Erschwert wird die Lage durch die schlechten Kapitalmärkte.
Quelle: Financial Times Deutschland
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