Von Herbert Fromme, Szczecin Ein Jahrzehnt nach Beginn der Privatisierung der Werftindustrie des Landes baut der polnische Staat wieder Schiffe. Die staatliche Stocznia Szczecinska Nowa (SSN) hat vor zwei Wochen den Betrieb aufgenommen, nachdem das private Vorgängerunternehmen Konkurs gegangenen war. Fünf Schiffe will SSN-Chef Andrzej Stachura in diesem Jahr fertig stellen – alle gehören Banken, die sich die Schiffe im Gegenzug für Materialdarlehen und andere Finanzierungen verpfänden ließen und sie jetzt verwerten. „Insgesamt elf Schiffe werden für die Banken fertig gebaut“, sagte Stachura im Gespräch mit der FTD.
Noch besitzt die neue Firma weder Bauplatz, Dock noch Schweißgerät. Die gesamte Ausrüstung wird von der bankrotten Stocznia Szczecinska, der berühmten Stettiner Werft, gemietet.
Bis Anfang dieses Jahres galt die Stocznia Szczecinska als Vorzeigebetrieb, Muster für die gelungene Privatisierung eines großen staatlichen Kombinats und einer der wichtigsten Exporteure des Landes. Jährlich wurden rund 20 Schiffe gefertigt, fast alle für den Export. Damit war die Werft die größte in Europa, gemessen an der Zahl der gelieferten Schiffe. Deutsche Containerschiffreeder gehörten zu den wichtigsten Auftraggebern.
Im März musste Stocznia Szczecinksa wegen akuter Finanznot die Produktion einstellen, Werft und Obergesellschaft Porta Holding gingen mit Schulden von 2 Mrd. Zloty in Konkurs.
Die SSN hat 1500 der 6000 Werftarbeiter übernommen, außerdem arbeiten 800 Mitarbeiter von Tochterfirmen auf der Werft. Sie sorgen für die Infrastruktur wie Strom, Gas oder Transportdienste. Dazu kommen 400 Arbeiter von Fremdfirmen.
Mehr als 30 weitere Schiffe stehen noch im Auftragsbuch der bankrotten Werft. „Wir wollen möglichst viele davon für die ursprünglichen Auftraggeber bauen“, so Stachura. Bisher haben nur zwei Reeder den Konkurs genutzt, um sich aus ihren Verträgen zu verabschieden.
Die polnische Werftindustrie ist erheblich unterkapitalisiert. Um trotzdem jährlich 20 Schiffe im Wert von 30 bis 50 Mio. $ bauen zu können, musste Stocznia Szczecinska teure Finanzierungen in Anspruch nehmen. Stachura erwartet künftig weniger Finanzprobleme: „Die Regierung wird Bürgschaften geben, nicht nur für uns, sondern auch für die andere Großwerft in Gdynia.“
Die staatliche Industrieagentur hat die SSN mit einem Grundkapital von 9 Mio. Zloty ausgestattet, bis Ende des Jahres sollen es 89 Mio. Zloty sein. Nur „einige Jahre“ werde die Intervention dauern, glaubt Stachura, dann werde die Werft wieder privatisiert. Das könnte Probleme mit der EU geben – schließlich reagiert Brüssel in der Regel empfindlich, wenn Beitragskandidaten mit hohen staatlichen Zuschüssen Industriepolitik betreiben.
Quelle: Financial Times Deutschland
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