Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle hatte eine besonders schwierige Aufgabe. Er musste der Öffentlichkeit und seinen eigenen Mitarbeitern erklären, warum die Allianz binnen weniger Monate ihre Meinung zur Übernahme einer Bank dramatisch geändert hatte. Bis Ende 2000 gab es Übereinstimmung bei der Allianz, dass die Übernahme einer Bank weder nötig noch erstrebenswert sei – frei nach dem Motto: „Wir brauchen keine eigene Kuh, um Milch zu trinken.“ Jetzt war plötzlich alles anders.
Den „Wachstumsmarkt Altersvorsorge“ führte Schulte-Noelle als Fusionsgrund an, die „Emanzipation der Kunden“, die selbst entscheiden wollten, wo und wann sie Finanzprodukte kaufen; und nicht zuletzt die Steuerreform, die es Konzernen erlaubte, ab Januar 2002 stille Reserven steuerfrei zu heben.
Das alles stimmte – hätte aber nicht zwingend zu dem Schluss führen dürfen, dass Deutschlands größter Versicherer eine Bank kaufen muss. Heute bezahlt die Allianz bitter dafür. Sie muss massive Verluste der Dresdner ausgleichen. Der Münchner Konzern steckt in der tiefsten Krise seiner über 100-jährigen Unternehmensgeschichte.
Die Wirtschafts-und die Börsenschwäche ist sicherlich mit schuld daran, dass die Dresdner Bank zu einer schweren Belastung für die Allianz wurde. Aber hinzu kommen Fehleinschätzungen der Oberfusionäre über Synergieeffekte und Webfehler beim Zusammenschluss. Die will Schulte-Noelle jetzt ausbügeln und setzt dabei auch Bankenboss Bernd Fahrholz unter Druck.
Wenn die Bank schon keine Erträge beisteuert, soll sie runter von ihren hohen Kosten. Und Konzernleitungsfunktionen von Frankfurt nach München abtreten. Trotzig stehen Schulte-Noelle und Fahrholz zu ihrem Modell. Die Übernahme als Fehler einzugestehen wäre gleichbedeutend mit dem Abgang der Führungsetage.
Gut, der Konzern hat an Vertriebsstärke gewonnen, seit Allianz-Policen vermehrt über die Schalter der Dresdner Bank verkauft werden. Allerdings ist der mit viel Brimborium aus der Taufe gehobene „integrierte Allfinanzkonzern“ noch weit von der Durchschlagskraft entfernt, die den Fusionsschmieden vorschwebte. Bisher leistet die Bank mit zwölf Prozent des Neugeschäfts einen höheren, aber immer noch bescheidenen Beitrag zum Lebensversicherungsgeschäft.
Die vermehrte Vertriebskraft reicht bei weitem nicht aus, um die banktypischen Risiken zu kompensieren, die sich die Allianz mit eingekauft hat. Der Konzern macht Verluste, ein ungewohntes Gefühl an der Königinstraße in München. Standard & Poor’s hat Deutschlands führenden Versicherer auf die Beobachtungsliste gesetzt – „mit negativer Erwartung“. 350 Mio. Euro Verlust musste Schulte-Noelle fürs zweite Quartal dieses Jahres vermelden, zum größten Teil wegen der Dresdner Bank. Nicht weil der Vertrieb von Versicherungspolicen und Fonds über den Bankschalter nicht funktioniert, sondern weil die Dresdner Bank im Kreditgeschäft und im Investmentbanking rote Zahlen schreibt.
Praktisch ohne Bargeld – und steuerfrei – hatte die Allianz die Dresdner Bank erworben. Faktisch umsonst, wie heute bisweilen geschrieben und von der Allianz gestreut wird, war die Bank allerdings nicht: Der Versicherer musste rund 18 Mrd. Euro stille Reserven auflösen, umschichten oder tauschen. Kostenlos ist etwas anderes. Und: Was bei der Übernahme gespart wurde, muss die Allianz jetzt drauflegen, um die Verlustlöcher der Bankbeteiligung zu stopfen.
Die Dresdner Bank bezahlt auf andere Weise: Sie verändert dramatisch ihr Gesicht. Und verliert in der Bankenbranche ihr eigenständiges Gewicht.
Schon im Jahr 2000, nach der gescheiterten Fusion mit der Deutschen Bank, verabschiedete sich die Dresdner von ihrem Anspruch, in die Liga der Global Player aufzusteigen. Das Auslandsgeschäft sollte gekappt, der geschäftliche Schwerpunkt auf Europa gelegt werden. 5300 Arbeitsplätze, so hieß es im Mai 2000, sollten bis Ende 2003 abgebaut werden, um Kosten und Erträge ins Lot zu bringen. Das hätte etwa zehn Prozent der damaligen Belegschaft weltweit entsprochen.
Zu wenig. Kurz nach der Übernahme durch die Allianz musste sich die Dresdner von ihrem Investmentbankinggeschäft im Fernen Osten trennen und das inländische Filialnetz zusätzlich straffen. Weitere 2500 Entlassungen waren die Folge. Vergangene Woche die neueste Hiobsbotschaft: Noch einmal 3000 Stellen sollen bis Ende 2003 verschwinden.
Damit summiert sich die Zahl der gestrichenen Stellen auf 10 800. Das sind mehr als 20 Prozent der Belegschaft bezogen auf den Beschäftigtenstand von rund 50 600 im Jahr 2000. In der deutschen Bankenlandschaft steht die Dresdner Bank mit dieser Quote an der Spitze der Jobkiller. „Wir schneiden tief ins Fleisch der Organisation. Das ist keine Frage“, gibt Bankchef Fahrholz zu.
Getroffen wird von der neuen Entlassungswelle vor allem der Geschäftsbereich Corporates and Markets, in dem auch die Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein (DKW) angesiedelt ist. Deren Aktivitäten, oder besser: Nicht-Aktivitäten sind es, die dem Allianz-Konzern zu schaffen machen. Seit dem 11. September sieht sich der Versicherungssektor weltweit einer fundamentalen Neubewertung ausgesetzt. Und der Börsencrash, der im Gefolge der Terroranschläge eingesetzt hat, trifft das Kapitalanlagegeschäft der Versicherer. Bei den Investmentbanken, die für ihre Geschäfte auf prosperierende Kapitalmärkte angewiesen sind, läuft es genauso. Dresdner Kleinwort Wasserstein verdient seit geraumer Zeit kein Geld mehr, sitzt aber auf hohen Kosten.
So erweist sich der integrierte Allfinanzkonzern als eine Schönwetterveranstaltung. Florieren die Kapitalmärkte, kann DKW hohe Gewinne für die Allianz generieren, schwächeln sie, verstärkt die Investmentbank den Druck auf die ohnehin zyklischen Schwankungen ausgesetzten Kapitalerträge des Versicherers. Das zwingt die Allianz nun zum Handeln.
Die Mitarbeiterzahlen bei DKW werden weiter reduziert, Bonuszahlungen abgeschafft. „Am Ende läuft das auf eine klare Ergebnisverantwortung hinaus“, heißt es bei der Allianz. „Entweder arbeiten die Leute profitabel: Dann gibt es Geld über die Gewinnbeteiligung. Oder nicht: Dann gibt es keinen Bonus mehr.“
Vorstand Leonhard Fischer zieht ins Kalkül, dass diese Politik zum Abgang von Spitzenleuten führen könnte. Aber man könne ohnehin nur Leute gebrauchen, die diese Struktur unterstützen. Aufgeben will die Allianz das Investmentbanking nicht, ist sich jedoch im Klaren, dass sie dort nicht zur ersten Garde gehört. Nur im deutschen und britischen Aktienmarkt könne sie auch in Zukunft ihre Stärken zeigen. „Wir schneiden nicht am Geschäftsmodell, sondern an der Kostenstruktur“, versichert Fahrholz.
Die Allianz unterwirft die gesamte Bank den eigenen, strengen Regeln zur Risikobeurteilung und Kostenstruktur. Vor allem das mittlere Bankmanagement wehrt sich zappelnd und lautstark, aber die Herren in München sehen wenige Alternativen und machen das auch deutlich. Die Dresdner muss beschleunigt ihr außereuropäisches Kreditgeschäft aufgeben und das dort gebundene Kapital von 3 Mrd. Euro in die Konzernmasse einbringen. Außerdem werden Konzernleitungsfunktionen aus der Zentrale in Frankfurt abgezogen und ins bayerische Allianz-Hauptquartier verlegt. Bitter für die einst stolze Nummer zwei der deutschen Kreditwirtschaft. Aber als Juniorpartner muss sie der mächtigen Mutter in München ständig aufs Neue beweisen, dass sich die Übernahme gelohnt hat. Bisher ist sie diesen Beweis schuldig geblieben.
Dazu kommt, dass die Allfinanz einen eingebauten Konstruktionsfehler hat. Dasselbe Risiko, zum Beispiel ein großer Konkurs oder eine Naturkatastrophe, kann den fusionierten Konzern jetzt auf drei verschiedenen Wegen treffen – und damit doppelt oder dreifach hart. „Wir haben das Kreditrisiko bei der Bank, wir haben das Anlagerisiko über Anleihen oder Aktien, und das Versicherungsrisiko“, sagt Helmut Perlet, Allianz-Konzernvorstand und als oberster Controller für die Kosten in der Gruppe zuständig. „Daran arbeiten unsere Risiko-Controller. Letztlich müssen wir Risiko-Limits setzen, die für alle drei Seiten gelten.“
Die Frage bleibt, wie lange der Allianz-Konzern bereit ist, das versicherungsfremde Bankrisiko zu schultern. Die Allianz-Aktie wurde an der Börse in ihren besten Zeiten einmal mit fast 400 Euro bewertet. Heute sind es zwei Drittel weniger. Das hat maßgeblich damit zu tun, dass Schulte-Noelle und Fahrholz die Anleger nicht von den Vorzügen ihres Geschäftsmodells überzeugen konnten. Insgeheim ist sich die Allianz dieser Problematik durchaus bewusst. Die Dresdner Bank hat im Konzern immer weniger zu sagen. Die Bereitschaft der Münchner, die Verlustlöcher ihrer Tochter noch länger zu stopfen, tendiert gegen null.
„Die Dresdner war nicht die richtige Bank für die Allianz“, sagt ein Analyst. Wenn das Haus mit dem „grünen Band der Sympathie“ in nicht allzu ferner Zukunft als reiner Vertriebsweg ohne Kreditgeschäft und ohne Investmentbanking völlig in der großen Allianz aufgehen würde, wäre das keine wirkliche Überraschung mehr – trotz aller Dementis aus München.
Zitat:
„Gut denkbar, dass die Dresdner bald kein Kreditgeschäft mehr betreibt“ – Ein Bankenanalyst
„Wir schneiden tief ins Fleisch ein“ – Bernd Fahrholz, Chef der Dresdner Bank.
Quelle: Financial Times Deutschland
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