Die deutsche Wirtschaft steht in diesem Herbst möglicherweise vor einer ähnlichen Hängepartie bei der Versicherung ihrer Risiken wie 2001 unmittelbar nach den Anschlägen auf das World Trade Center. „Im vergangenen Jahr haben wir wie das Kaninchen auf die Schlange geschaut. Ich bin nicht sicher, ob wir nicht in diesem Jahr eine Wiederholung bekommen“, sagte Ralf Oelssner, Vorsitzender des Deutschen Versicherungs-Schutzverbandes (DVS), bei einem Symposium der Organisation. Der DVS vertritt industrielle Versicherungseinkäufer.
Der Ton zwischen Assekuranz und Industrie ist zwar freundlicher geworden, entspannt hat sich die Lage aber nicht. Nach dem Angriff am 11. September hatten die Industrieversicherer die in der ersten Hälfte 2001 vorsichtig eingeleitete Sanierung des chronisch defizitären Geschäfts dramatisch verschärft. Sie kündigten laufende Verträge, zogen Angebote zurück oder machten erst gar keine – und erhöhten fast überall drastisch die Preise. Mittlerweile räumen Vertreter der Assekuranz einen schlechten Stil ein. „Wir haben aus unseren Fehlern gelernt, dass ändert an der Sache aber nichts“, sagte Allianz-Vorstand Detlev Bremkamp.
Über Jahre hatten die Versicherer den Preisverfall hingenommen. Gute Geschäfte mit Privatkunden und vor allem die boomenden Kapitalmärkte sorgten für einen Ausgleich. Marktführer Allianz zum Beispiel machte in den vergangenen fünf Jahren mit jedem Euro Industrieprämie 40 Cent Verlust, sagte Bremkamp.
Damit soll jetzt Schluss sein. Die Allianz hat ihr Industriegeschäft in der weltweit tätigen Allianz Global Risks zusammengeführt und will spätestens ab 2004 dort schwarze Zahlen schreiben. „Nur mit Mühe konnten wir die Kapitalgeber davon überzeugen, dass wir in 2002 noch Verluste in Kauf nehmen müssen, da die Umgestaltung nicht in einem Jahr zu machen ist“, sagte Bremkamp.
Zurzeit befänden sich Versicherer und Industriekunden in einem „unangenehmen Bereinigungsprozess“, der in diesem Herbst abgeschlossen werden könne, glaubt Bremkamp. Er hofft, dass sich daran eine Phase der „intelligenten Lösungen“ anschließt. „Die derzeitigen umfassenden Deckungskonzepte sind langfristig nicht richtig“, sagte er. Stattdessen empfahl er eine Basisversicherung mit einem höheren als dem zurzeit üblichen Eigenbehalt im Schadensfall, dazu alternative Risikofinanzierungen, die auf dem Kapitalmarkt gekauft werden können.
Anfang Oktober will die Allianz den Industriebetrieben Angebote machen. Voraussichtlich werden sie mit einem Zeitlimit versehen sein, die Kunden müssen sich also schnell entscheiden. „Der Zeitpunkt birgt ein gewisses Risiko für uns“, sagte er. Denn die Rückversicherer, an die die Industrieversicherer einen Teil ihres Risikos weitergeben, legen erst in der letzten Oktoberwoche in Baden-Baden ihre Marschroute für das kommende Jahr fest. Allerdings plant die Allianz ohnehin, künftig unabhängiger zu agieren. „Ich will mich stärker von den Rückversicherern freistrampeln“, sagte Bremkamp.
DVS-Mann Oelssner glaubt nicht, dass neben der Allianz auch andere Versicherer bereits Anfang Oktober Angebote machen. Deshalb werden die Industrieunternehmen im Herbst unter großem Druck nach Deckungen suchen müssen.
Sorgen bereiten der Wirtschaft nicht nur die steigenden Preise, sondern auch und vor allem die Frage der grundsätzlichen Versicherbarkeit großer Risiken. „Die Schraube wird noch mal angezogen werden“, erwartet Oelssner. Exorbitante Preissteigerungen führten zu dem gleichen Ergebnis wie die Einschränkung bestimmter Deckungen.
Dabei sind die Kapazitäten ohnehin schon knapper geworden, weil sich wichtige Anbieter zurückgezogen haben. Außerdem hat die Durchsuchungsaktion des Kartellamts im Juli gegen neun Industrieversicherer und vier Niederlassungen oder Töchter wegen des Verdachts auf Preisabsprachen dazu geführt, dass sich die Assekuranz vor der Bildung der für große Deckungen eigentlich nötigen Konsortien fürchtet.,
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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