Geschäft mit hohem Risiko

Die neuen Wirtschaftsprüferregeln schonen die Assekuranz. Doch gerade für Lebensversicherer ist das keine Entwarnung – ihre Probleme ähneln denen japanischer Konzerne

Die Wirtschaftsprüfer haben es sich nicht leicht gemacht: Ihre am Mittwoch veröffentlichen Anforderungen an die Versicherungswirtschaft zur Abschreibung von Aktien, die durch den Börsencrash stark abgewertet wurden, sind für die Branche moderat. Sie erlauben den Unternehmen zwar nicht, ihren Abschreibungsbedarf zu verstecken. Doch sie geben den Versicherern – allen voran den Lebensversicherern – mehr Zeit, die notwendigen Korrekturen an der Bewertung vorzunehmen.

Die Aktien müssen nicht vollständig auf den Marktwert zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2002 abgeschrieben werden. Wenn es begründete Annahmen für ein baldiges Ansteigen der Kurse gibt, beispielsweise Analystenschätzungen, können die Versicherer das in ihre Berechnungen einfließen lassen und entsprechend weniger abschreiben. Fehlt eine solche auf die Zukunft gerichtete Aussage, dürfen die Unternehmen bei der Bewertung ihrer Bestände mit Durchschnittszahlen arbeiten, etwa dem Dax-Stand im Schnitt der vergangenen zwölf Monate.

Dringender Handlungsbedarf

Dadurch können die Versicherer ihren Abschreibungsbedarf über die Zeit glätten. Geht es den Aktienmärkten besser, verschwindet das Problem zum größten Teil. Bleiben die Kurse auf ihrem niedrigen Niveau oder bewegen sich nur leicht nach oben, müssen die Versicherer die Papiere in den kommenden Jahren weiter abschreiben. Die milden Regeln der Prüfer sorgen dafür, dass nur wenige Versicherer in diesem Jahr in Existenznot kommen.

Entscheidend wird sein, wie die Branche die so gewonnene Zeit nutzt. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte ist zu befürchten, dass einige Manager weder die Schwere der Krise noch den dringenden Handlungsbedarf sehen.

Deutsche Versicherungsmanager wehren sich lautstark, wenn man ihre Unternehmen mit der krisengeschüttelten japanischen Branche gleichsetzt. Tatsächlich gibt es bedeutende Unterschiede. Ein Vergleich lohnt sich dennoch: Die japanischen Lebensversicherer galten über Jahrzehnte als Inbegriff stockkonservativer Geschäftspolitik. Noch 1980 hatten die Gesellschaften mehr als 60 Prozent ihrer Kapitalanlagen in Anleihen der japanischen Großindustrie investiert – langweilig, aber solide. Auch die Aktienpakete in ihren Portefeuilles wurden jahrelang nicht angefasst. Heute ist die Branche extrem gefährdet. In den vergangenen Jahren verabschiedeten sich sieben Lebensversicherer durch Insolvenz vom Markt. Die meisten anderen sind unter großem Druck und verlangen staatliche Intervention.

Es wäre zu einfach, diesen Verfall nur den äußeren Umständen zuzuschreiben. Natürlich: Wenn ein Versicherer für Neuanlagen in Staatsanleihen nur zwischen ein und zwei Prozent bekommt und der japanische Aktienmarkt auf den niedrigsten Stand seit 1983 zurückgefallen ist, verdient er die vier Prozent Verzinsung nicht, die er seinen Kunden versprochen hat. Da bleibt nur die Zahlung der Garantie aus den Rücklagen – und die sind begrenzt.

Wahr ist aber auch, dass die japanischen Lebensversicherer selbst kräftig zur Krise beigetragen haben. In den 80er Jahren versprachen sie zum Beispiel ihren Kunden für Policen mit Einmalbeitrag acht Prozent Zinsen – viel mehr als die sechs Prozent, die bei den Banken zu holen waren.

Riesensummen flossen ihnen zu. Die Lebensversicherer investierten das Geld in Aktien und heizten damit den Börsenboom der 80er Jahre weiter an. Als das ausgereizt war, folgten Immobilienspekulationen. Beide Blasen sind geplatzt. Die Versicherer verlangen jetzt von der Politik, den Garantiezins von vier Prozent auf ihre Standardpolicen per Gesetz aufzuheben.

Auch viele deutsche Lebensversicherer werben noch mit Verzinsungen von sechs Prozent und mehr auf das Sparkapital ihrer Kunden, obwohl sie mit festverzinslichen Anlagen keine fünf Prozent verdienen. Die Aktien liefern keinen Ausgleich, sondern drücken im Gegenteil wegen der nötigen Abschreibungen die erzielten Gesamtrenditen. Die Furcht, Marktanteile zu verlieren, lässt die Unternehmen jede ökonomische Vernunft über Bord werfen.

Überzogene Versprechen

Wenig Fortschritt gibt es auch bei der lange überfälligen Konsolidierung des Marktes. Von den 110 größeren Lebensversicherern haben 80 einen Marktanteil von unter einem Prozent. Entsprechend hoch sind die Kosten. Aber einen Trend zu größeren Einheiten ist kaum auszumachen.

Trotz der für sie moderaten Wirtschaftsprüferregeln wird es in diesem Jahr Schieflagen bei Lebensversicherern geben. Neben der Not leidenden, aber inzwischen aufgefangenen Familienfürsorge halten Branchenkenner bis zu zehn Unternehmen für akut gefährdet.

Das heißt nicht, dass der Rest gesund ist: Wenn die Lebensversicherer weiterhin mehr versprechen als sie halten können und ihre Kosten nicht deutlich senken, geraten noch mehr von ihnen in Turbulenzen. Ob die von der Branche selbst gestrickte Auffanglösung dann hält, wird man sehen. Lebensversicherer-Insolvenzen nach japanischem Vorbild sind jedenfalls nicht mehr ausgeschlossen.

e-mail:

fromme.herbert@ftd.de.

Quelle: Financial Times Deutschland

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