Gentechnik und Asbestrisiken kaum versicherbar “ Assekuranz fährt harten Sanierungskurs
Von Judith Csaba und Herbert Fromme, Hamburg Die Versicherer stoßen bei ihrem harten Kurs in der Haftpflichtversicherung auf Widerstand in der Industrie. Vor allem die stetig wachsende Liste von Risiken, die ausdrücklich nicht versichert werden, verbittert die Versicherungseinkäufer großer Konzerne.
Die Assekuranz verweigert unter anderem fast immer die Deckung von Asbest oder Risiken, die aus gentechnisch modifizierten Organismen erwachsen. Allenfalls gegen horrende Zusatzkosten geben die Versicherer Deckung.
Damit gehe der elementare volkswirtschaftliche Zweck von Versicherung verloren, sagte Heinz-Werner Barkey vom Thyssen Krupp Versicherungsdienst. „Es kann doch nicht sein, dass ich nur Hunde, die nicht beißen, versichern kann, für die bissigen aber keinen Schutz bekomme“, sagte er auf einer Euroforum-Haftpflichttagung.
Die Versicherer argumentieren mit den hohen Schadenquoten und der schwierigen Ertragslage auf Grund der schwachen Kapitalmärkte. „Durch die Aktienflaute geht das Eigenkapital der Versicherer zurück. Das heißt, sie können weniger Geschäft zeichnen, denn sie brauchen dafür ein entsprechendes Eigenkapital“, sagte Walter Tesarczyk, Vorstand der Allianz Versicherung. Gleichzeitig seien die Rückversicherer immer restriktiver und teurer.
„Natürlich ist der Ausschluss beispielsweise von Asbest-Schäden für den Kunden ein gravierendes Manko“, sagte Tesarczyk. Es müsse aber verhindert werden, dass US-Anwälte ihre Asbest-Kampagne auch nach Deutschland tragen. Wenn hinter einem Industrieunternehmen ein potenter Versicherer stehe, werde es eher wegen Asbest verklagt.
Tesarczyk ist sich über die Konsequenzen im Klaren: Ein oder zwei betroffene Industriebetriebe könnten durch unversicherte Asbest-Schäden in den Ruin getrieben werden – das sei aber einer allgemeinen Klagewelle gegen deutsche Firmen vorzuziehen.
Die Industrievertreter zeigten Verständnis für die Notwendigkeit von Preiserhöhungen. Nervös werden die Manager aber, wenn die Assekuranz bestimmte Risiken überhaupt nicht decken will. Die Vertragserneuerungen für 2003 waren besonders hart. „Wir sind mit einer langen Reihe von Ausschlüssen konfrontiert worden“, sagte Christian Böhm von der Versicherungsabteilung des Chemiekonzerns BASF. Jeder rede von der Notwendigkeit von Fortschrittstechnologien, aber Deckung für genetisch modifzierte Organismen sei kaum zu bekommen.
Bei solchen Risiken müsse die Assekuranz auf einer Einzelfallprüfung bestehen, entgegnete Tesarczyk. „Es ist nicht die Regel, dass jedes neue Risiko ausgeschlossen wird. Das ist nur der Fall, wenn das mögliche Schadenausmaß den Versicherer oder die ganze Branche gefährdet“, sagte er.
„Diese Risiken sind versicherbar, wenn auch eingeschränkt und zu hohen Prämien.“ Allerdings sei die Versicherungskapazität für Chemie-und Pharmarisiken in Deutschland ausgeschöpft.
Die Ertragssituation in der Haftpflichtversicherung hat sich in den letzten zehn Jahren kontinuierlich verschlechtert, sagte Tesarczyk, der auch Vorsitzender des Haftpflicht-Fachausschusses im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft ist.
Die Prämieneinnahmen stagnieren, Zahl und Volumen der Schäden steigen. Nach GDV-Zahlen musste die Branche mit 5,016 Mrd. Euro im Jahr 2001 8,2 Prozent mehr als im Vorjahr aufwenden. Die erhoffte Erleichterung ist auch 2002 ausgeblieben.
„Neben Gesetzesänderungen sind für Versicherer in den letzten Jahren Terrorismusschäden, Pharmarisiken sowie IT-Risiken hinzugekommen“, sagte Tesarczyk.
Besondere Sorgen machen sich die Haftpflichtversicherer wegen der rasch steigenden Zahl von Produktrückrufen, vor allem von Pkw und Zubehör, sagte Gerling-Vorstand Hermann Jörissen. In den letzten sechs Jahren habe sich die Zahl der Fälle mehr als verdoppelt: 1997, als das neue Produktsicherheitsgesetz in Kraft trat, zählte das Kraftfahrt-Bundesamt 58 Rückrufe, 2002 waren es schon 127.
Böses Vorbild für die Megaschäden, die in diesem Feld lauern, war 2000 der Rückruf von Firestone-Geländewagenreifen. „Bei Unfällen mit dem Reifen gab es 271 Todesopfer und Schwerverletzte. 14,4 Millionen Reifen mussten zurückgerufen werden, der Gesamtschaden betrug 2,7 Mrd. $.“ Rund 65 Prozent aller Rückrufschäden entfallen auf die USA.
Die Versicherungsmanager erwarten einen Trend zur Konsolidierung. Die Kapitalerträge stehen als Ausgleich für das defizitäre operative Geschäft nicht mehr zur Verfügung. Daher werde sich der Trend zur Sanierung kritischer Bereiche fortsetzen, sagte Tesarczyk. Er erwartet eine deutliche Reduzierung der Zahl der Anbieter. Allerdings strebt die Allianz selbst keine Übernahmen Not leidender Wettbewerber an – offenbar fürchtet man in München, dass dies dem ohnehin dahinsiechenden Aktienkurs noch weiter schaden würde.
Zitat:
„Natürlich ist der Ausschluss von Risiken ein Manko“ – Walter Tesarczyk
Bild(er):
Die Decke eines Firestone-Reifens hat sich gelöst, ein schwerer Unfall war die Folge. Der Designfehler des Herstellers führte zu einem Milliardenschaden für die Haftpflichtversicherer – AP/Willis Knight.
Quelle: Financial Times Deutschland
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