Bislang nehmen die großen Versicherer die Vorwürfe der Kartellbehörde gewohnt gelassen – doch ihre Versuche, die Preisabsprachen zu rechtfertigen, gehen ins Leere
Nichts könnte den großen Versicherungsgesellschaften zurzeit ungelegener kommen als die öffentliche Diskussion über mögliche Verstöße gegen das Kartellrecht. In den vergangenen zwei Jahren hat die Assekuranz die Preise für die großen Konzerne dramatisch angehoben – jetzt sind die mittleren und kleinen Betriebe dran. In dieser Phase der Verhandlungen über höhere Prämien und schlechtere Bedingungen – euphemistisch „Sanierung“ genannt – stärkt jeder Bericht über die Kartellvorwürfe den Widerstand der Kunden und ihre Suche nach Alternativen.
Trotz aller Vorwürfe: Die Versicherer zeigen sich gewohnt gelassen. Die Branche ist geübt im Abwiegeln und Verharmlosen. Da bricht zum ersten Mal seit mehr als 50 Jahren ein Lebensversicherer zusammen, 13 Büros von Industrieversicherern werden durchsucht und offenbar reichlich Beweise für rechtswidriges Verhalten sichergestellt – doch von einer Krise wollen die Versicherer nichts wissen. Möglicherweise sei unbeabsichtigt und am Rande gegen einzelne Kartellvorschriften verstoßen worden, so der niedliche Kommentar von Branchensprechern.
Verluste in Milliardenhöhe
Auf den ersten Blick sind ihre Argumente einleuchtend. Mit Recht verweisen sie auf Besonderheiten: Große Industrieunternehmen brauchen Versicherungsschutz für Werte, bei denen im Schadensfall viele Milliarden Euro fällig werden. Ein einzelnes Unternehmen kann so ein Risiko kaum allein schultern, daher schließen sich mehrere zu Mitversicherungskonsortien zusammen, einige davon mit Miniquoten weit unter einem Prozent.
Ein solches Konsortium aber kann nicht zusammenkommen, ohne sich abzusprechen, argumentiert die Assekuranz mit Unschuldsblick. Dazu kommt noch das Rückversicherungsproblem: Die meisten Versicherer geben den Großteil der übernommenen Beiträge und Risiken an international agierende Rückversicherer weiter. Wenn die aber Preise und Bedingungen für Großrisiken festlegen, was kann dann der einzelne Versicherer für die einheitlichen Preisforderungen im Markt?
Und schließlich: Haben die Versicherer in den vergangenen Jahren nicht gerade im Industriegeschäft viel Geld verloren? „Wenn es Preisabsprachen gab, dann waren sie doch offenbar erfolglos“, sagt ein Sprecher des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft.
Keines dieser Argumente ist stichhaltig. Die Absprache in der Mitversicherung ist gesetzlich ausdrücklich gestattet. Solche Konsortien kommen ja nur zustande, weil es jeweils einen führenden Versicherer gibt, der die Konditionen mit dem Kunden aushandelt und dann Mitstreiter sucht. In vielen Fällen aber hatten die Industrieunternehmen in den vergangenen Jahren überhaupt keine Wahl mehr: Ob bei Allianz, Gerling oder HDI, Preise und Bedingungen unterschieden sich gar nicht oder nur marginal. Und noch schlimmer: In vielen Fällen bekamen die Industrieunternehmen lange Zeit überhaupt keine Angebote und mussten fürchten, ohne Versicherungsschutz zu bleiben. Auch das Rückversicherungsargument zieht nicht – schließlich besteht eine äußerst lebendige Konkurrenz auf diesem Markt.
Der Verweis auf die hohen Verluste taugt ebenso wenig dafür, das Verhalten der Assekuranz zu rechtfertigen. Er beleuchtet aber grell das eigentliche Problem: gravierende Managementfehler und die Unfähigkeit, mit einem tatsächlich deregulierten Markt umzugehen.
Richtig ist, dass die Assekuranz in der zweiten Hälfte der 90er Jahre in der Industrieversicherung Milliardenverluste eingefahren hat. Daran ist sie allerdings vor allem selbst schuld. In der Gewissheit, dass ein profitables Privatkundengeschäft und die hohen Aktiengewinne schon genug Ausgleich schaffen würden, bekämpften sich die Großen der Branche bis aufs Messer, stachen sich bei Rabatten aus und gewährten kostenlose Zugaben.
Korporatistischer Geist
Die Folge dieser Strategie: hohe Verluste. In jeder anderen Branche hätte so ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb dazu geführt, dass bedeutende Mitspieler vom Markt verschwunden wären und die übrig gebliebenen die Preise wieder ordentlich angehoben hätten.
In der Versicherungswirtschaft aber läuft das anders. Kaum ein Unternehmen verließ die Bühne. Stattdessen ging die Branche genau zu dem über, wofür sie jetzt vom Kartellamt gerügt wird: Als der Leidensdruck zu groß wurde, so das Amt, setzte man sich zusammen und verschob die Preise gemeinsam nach oben.
Leben und leben lassen, der Kuchen ist groß genug für alle – das ist immer noch das heimliche Motto der Assekuranz. Der alte korporatistische Geist zeigt sich beim Industrieversicherungskartell genauso wie bei dem Versuch, die Mannheimer-Gruppe um jeden Preis zu retten. Noch immer sträuben sich bei einem deutschen Versicherer die Nackenhaare, wenn er auch nur an die Möglichkeit eines Versicherer-Konkurses denkt. Es gibt erste, spärliche Anzeichen dafür, dass sich das eines Tages ändert. Das gegenwärtige Kartellverfahren könnte dabei helfen.
e-mail:
fromme.herbert@ftd.de.
Quelle: Financial Times Deutschland
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