Solvency II löst bei Versicherern unterschiedliches Risikoverhalten aus
Von Herbert Fromme, Köln Die Versicherungslandschaft wird sich bereits vor der für 2008 geplanten Einführung neuer Eigenkapitalregeln deutlich verändern. Analog zu Basel II für den Bankensektor führt die EU-Kommission die mit Solvency II bezeichneten neuen Regeln für die Eigenmittel der Versicherer ein. „Das wird zu einer starken Differenzierung in den Versicherungsprodukten führen“, glaubt Professor Kurt Wolfsdorf. „Die Versicherer sind unterschiedlich bereit, Risiken einzugehen.“ Wolfsdorf ist Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft B&W Deloitte und Vorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung, in der 2200 Versicherungsmathematiker Mitglied sind.
Mit Solvency – im VersicherungsDeutsch Solvabilität – bezeichnet die Branche das Verhältnis von Eigenmitteln zum gezeichneten Versicherungsgeschäft. Bisher sind die Regeln relativ starr: In der Lebensversicherung etwa muss ein Unternehmen Eigenmittel vorhalten, die rund fünf Prozent der Deckungsrückstellung entsprechen. Davon stammen 1,5 Punkte aus dem Eigenkapital des Versicherers, der Rest aus Mitteln, die den Kunden zustehen – ein zinsloses Darlehen an den Versicherer.
Solvency II führt ein völlig neues Regime ein. Vor dem Hintergrund der jüngsten Verwerfungen an den Kapitalmärkten fürchten EU und Versicherungsaufseher, dass sonst Kundengelder in Gefahr sein könnten. „Die genauen Regeln gibt es noch nicht“, sagte Wolfsdorf. Bisher bestehe ein Rahmen, den der europäische Ausschuss der Versicherungsaufseher Ceiops ausfüllen wird. Die EU-Kommission will bis Ende 2005 eine Richtlinie vorlegen.
Fest steht schon jetzt, dass Solvency II drei Elemente haben wird: Eine marktweit vorgeschriebene Kapitalausstattung, dem individuell für jedes Unternehmen ermittelten Risikokapital sowie deutlich mehr Transparenz gegenüber Kunden und Öffentlichkeit.
„Dabei werden sowohl die Versicherungsrisiken als auch die Kapitalanlagerisiken bewertet und gemessen“, sagte Wolfsdorf. Ob die Anforderungen an die Eigenmittel höher oder niedriger als bisher ausfallen, hänge vom Versicherer ab. „Wer viel in Aktien investiert, hat ein höheres Risiko. Wer hohe Garantien gibt, ebenfalls. Wer risikoscheuer ist, muss weniger Eigenmittel vorhalten.“ Der zusätzliche Bedarf an Eigenmitteln für die gesamte Branche sei jedenfalls „nicht dramatisch“.
Die Produkte werden sich künftig deutlich unterscheiden: Viele Lebensversicherer würden deshalb beispielsweise die garantierten Zinsen überdenken und möglicherweise bei neuen Verträgen zurückschrauben.
Eine Fusionswelle als direkte Folge von Solvency II erwartet Wolfsdorf dagegen nicht. „Manche kleine Versicherer stehen heute sogar besser da als große.“ Sie könnten auch eher auf Veränderungen zum Beispiel bei Kapitalmarktrisiken reagieren: „Ein kleiner Versicherer kann seine 100 Mio. Euro oder 200 Mio. Euro in Aktien schnell verkaufen, wenn es nötig wird. Ein großer braucht für seine Milliardenpakete Monate, wenn er den Markt nicht runterziehen will.“
„Solvency II bedeutet für die Unternehmen, ganz neue Führungsprinzipien durchzusetzen. Die Frage ist immer, mit welcher Strategie antwortet es auf Risiken.“ Bei Versicherungsrisiken könne eine Rückdeckung gekauft werden, bei Kapitalanlagerisiken bestimmte Anlageformen reduziert oder Absicherungen erworben werden. „Wichtig ist, dass alle eingebunden sind und nicht die Kapitalanleger oder Spartenverantwortlichen nicht voneinander wissen, welche Risiken ihr Unternehmen überhaupt hat.“
Zitat:
„Versicherer sind unterschiedlich bereit, Risiken einzugehen“ – Professor Kurt Wolfsdorf
Quelle: Financial Times Deutschland
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