Abschied vom Paradies

Mit einem Schlussverkaufsboom wollen die Lebensversicherer das Ende ihres lukrativen Geschäftsmodells feiern. Für manchen könnte es die letzte Party sein

Auch wenn CDU und CSU taktische Kapriolen in Bundestag, Bundesrat und Vermittlungsausschuss vollziehen – die Besteuerung der Erträge aus Kapitallebensversicherungen wird kommen. Der Kompromiss „Halbeinkünfte ab 60“ ändert daran nichts. Die Assekuranz betreibt Schadensbegrenzung und behauptet, die Lebensversicherung bleibe attraktiv. Im selben Atemzug kündigen Branchensprecher den Beginn des Ausverkaufs an – 2004 sollen noch möglichst viele Kunden mit dem Argument der vollen Steuerfreiheit geworben werden.

Der Beschluss hat weit reichende Auswirkungen auf Finanzmärkte und Assekuranz, auch wenn viele Versicherer das bisher nicht wahr haben wollen. Ihre Vorherrschaft in dem lukrativen Markt für langfristige Sparanlagen steht auf dem Spiel. Wenn Banken und Fondsgesellschaften mit den richtigen Produkten angreifen und endlich ihre Vertriebe vernünftig organisieren, könnte es die Versicherungswirtschaft sehr schwer haben.

Gigantischer Kuchen

Der zu verteilende Kuchen ist gigantisch. Im vergangenen Jahr haben die Deutschen 68 Mrd. Euro an Prämien für die Lebensversicherung gezahlt. Die Branche hält mehr als 600 Mrd. Euro an Kapitalanlagen. Allein 2003 unterzeichneten Kunden 8,4 Millionen neue Lebensversicherungsverträge und verpflichteten sich damit zu Zahlungen von 160 Mrd. Euro. Darauf gibt die Branche Provisionen von vier bis fünf Prozent, bei manchen Vertrieben auch mehr als sechs Prozent. Es geht also um 7 bis 8 Mrd. Euro Provisionsvolumen.

Manche Versicherungsmanager glauben immer noch, alles bleibe beim Alten. Schließlich ist die Lebensversicherung schon oft totgesagt worden, zuletzt 1999, als Finanzminister Eichel schon einmal das Steuerprivileg abschaffen wollte. Damals konnte er sich nicht durchsetzen. Jetzt ist das Gesetz Realität.

Gerade kleinere Gesellschaften, die nur wenige Produkte anbieten und vor allem über einen teuren Außendienst verkaufen, werden unter Druck geraten. Die Steueränderung könnte der Startschuss für die seit langem fällige Konsolidierung im deutschen Versicherungsmarkt sein.

Mit dem Steuerkompromiss sind die bisherigen Kapitallebensversicherungen gegen viele andere Anlageprodukte kaum noch konkurrenzfähig – jedenfalls unter Renditegesichtspunkten. Besonders krass trifft es fondsgebundene Policen, bei denen der Kunde das Kapitalmarktrisiko trägt. Bisher hat eine Fondspolice, die Sparplan und Risikoschutz bündelt, gegenüber einem Fondssparplan plus einer selbstständigen Risikoversicherung den Charme, dass die Erträge am Finanzamt vorbei eingenommen werden. Künftig ist die fondsgebundene Police gegenüber dem Fondssparplan steuerlich sogar benachteiligt, weil bei ihr auch der Ertrag aus Aktien-Wertzuwachs besteuert oder halb besteuert wird – beim direkten Fondssparen ist dieser Teil des Gewinns steuerfrei.

Ob fondsgebunden oder konventionell, die Lebensversicherer werden künftig kaum die gewohnten knapp zehn Millionen Verträge pro Jahr absetzen, auch wenn 2004 wegen des Ausverkaufs ein Boomjahr wird. Ganz aussterben wird die Lebensversicherung zwar nicht, denn viele Kunden schätzen die garantierten Zinserträge, die diese Sparform bietet. Aber selbst um eine schrumpfende Zahl neuer Verträge an den Mann zu bringen, müssen sich die Versicherer einiges einfallen lassen.

Sie brauchen neue Vertragsformen, die Garantien und Aussichten auf Ertrag intelligent verbinden. Ihre Verkäufer müssen sie dazu bringen, auch Fondssparpläne und andere Anlageformen zu verkaufen. Sie müssen sie überzeugen können, die inflexiblen und unpopulären Rürup-Leibrenten an den Mann zu bringen – hier können Kunden Beiträge bis zu 12 000 Euro im Jahr aus unversteuertem Einkommen zahlen. Und sie müssen sich überlegen, wie sie ihre Vertriebe künftig bezahlen.

Welle von Fusionen

Große Gesellschaften können diese Herausforderungen viel besser meistern als kleine. In Deutschland gibt es mehr als 100 Lebensversicherer, die Mehrzahl mit einem Marktanteil von unter einem Prozent. Ob Allianz, Ergo oder AMB Generali – die großen haben neue Produkte in der Schublade und Vertriebe, die Erfahrung mit dem Verkauf von Fondssparplänen haben. Vor allem aber sind die großen stark in der betrieblichen Altersversorgung, da spielen kleinere Versicherer kaum eine Rolle.

Vielen kleineren wird die Umstellung nicht gelingen. Sie werden sich bei stärkeren Gesellschaften anlehnen wollen, doch auf dem Weg zur Fusion gibt es Hürden: So bereitet das niedrige Zinsniveau manchem kaufwilligen Versicherungsmanager Bauchschmerzen, wenn er die hohen Zinsgarantien für Altverträge dagegenrechnet. Auch die Preisvorstellungen der Verkäufer von Versicherungsgesellschaften gehen noch weit an der Realität vorbei.

Die Fusionswelle wird dennoch kommen, ebenso wie die Änderung in der Vertriebsstruktur. Außendienste und Vertriebe, die vor allem von der hohen Lebensversicherungsprovision leben, werden 2004 ein Feuerwerk des Neugeschäfts erleben – und danach ausgebrannt sein.

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fromme.herbert@ftd.de

Quelle: Financial Times Deutschland

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