Krankenkassen kämpfen um Kunden

Eckart Fiedler im FTD-Interview über den Konzentrationsprozess in der Branche

Von Ilse Schlingensiepen Die Vielzahl der Krankenkassen in Deutschland beschäftigt sogar den Bundespräsidenten. „Ich kenne kein Land auf der Welt, das mehr Krankenkassen hätte als unseres, Hunderte von Krankenkassen und Hunderte von Krankenkassenverwaltungen“, sagte Johannes Rau beim Ärztetag in Bremen. Es war klar, was er meinte: So viel Kassen braucht man nicht, das kostet zu viel.

Was hätte Rau wohl vor zehn Jahren gesagt? Laut dem Bundesverband der Betriebskrankenkassen gab es im Januar 1994 insgesamt 1146 Krankenkassen, im Januar 2004 waren es nur noch 290.

Angeregt durch eine Gesetzesänderung kam ein Konzentrationsprozess in Gang, viele kleine Kassen fusionierten. Seit dem 1. Januar 1996 gilt das Recht auf freie Kassenwahl. Während die Kassen mit Ausnahme der Ersatzkassen früher bestimmte Versichertengruppen zugewiesen bekamen, mussten sie sich nun dem Wettbewerb stellen. Die Versicherten avancierten von Zwangsmitgliedern zu Kunden. Im neuen Wettbewerb kristallisierte sich der Beitragssatz als entscheidendes Kriterium heraus. Vor allem Junge und Gesunde wechseln.

Die Barmer Ersatzkasse, Deutschlands größte Krankenkasse, hat die Folgen der Wahlfreiheit zu spüren bekommen. „Seit 1998 haben wir ständig Mitglieder verloren, weil unsere Beitragssätze über dem Durchschnitt liegen“, sagt der Vorstandsvorsitzende Eckart Fiedler. Zurzeit hat die Barmer 5,7 Millionen Mitglieder, inklusive Familienangehöriger 7,6 Millionen Versicherte. „Das sind 15 Prozent weniger als noch 1998“, so Fiedler.

Die Fixierung auf den Beitragssatz hat dem Kassenwettbewerb eine falsche Richtung gegeben, glaubt er. „Der Wettbewerb muss sich auf die Güte der Versorgung und die Wirtschaftlichkeit konzentrieren“, sagt Fiedler. Möglich sei es durch die neuen Angebote an die Versicherten: Neben Versorgungsformen für bestimmte Krankheiten und Bonusprogrammen sind das Tarife mit Selbstbehalt oder auch Zusatzversicherungen in Kooperation mit privaten Krankenversicherern. „Das sind Elemente der Kundenbindung“, sagt Fiedler.

Er erwartet, dass es in den nächsten fünf Jahren zu einem weiteren Konzentrationsprozess kommt und 50 bis 100 Anbieter übrig bleiben. Nur Kassen mit einer bestimmten Größe könnten in den Vertragsverhandlungen ein Gegengewicht zu den Ärzten und anderen Leistungserbringern darstellen, sagt der Barmer-Chef.

Thomas Isenberg vom Bundesverband der Verbraucherzentralen hält diese Entwicklung für wünschenswert. „Wir wollen keine Einheitskasse, aber ein Dutzend starker, handlungsfähiger Kassen müsste ausreichen“, sagt Isenberg. Dabei sollten künftig auch Fusionen zwischen verschiedenen Kassenarten möglich werden.

Isenberg fordert für die Kunden und den Gesetzgeber mehr Transparenz, was die Finanzlage der Krankenkassen betrifft. „Die Kassen müssten regelmäßig ihre Bücher offen legen“, fordert Isenberg.

Wichtig sei Transparenz auch auf einem anderen Gebiet: der Vergleichbarkeit der Kassen untereinander. „Es ist klar, dass die billigste Krankenkasse nicht die beste ist.“ Durch die neuen Angebote sei der Markt noch komplexer geworden als bisher. Um für sich die richtige Krankenkasse zu finden, müsste ein Kunde sowohl die einzelnen Tarife als auch Sonderverträge von Kassen beispielsweise mit Arzneimittelversandhändlern kennen. Es reiche auch nicht zu wissen, ob eine Kasse etwa ein Hausarztprogramm anbietet, denn jede verstehe darunter etwas anderes, sagt Isenberg. Die Verbraucherschützer könnten die Aufgabe, hier für mehr Klarheit zu sorgen, allein nicht leisten. „Das wäre eine große Gemeinschaftsaufgabe für den gesamten Markt“, sagt Isenberg.

Zitat:

„Der Wettbewerb muss sich auf die Güte der Versorgung konzentrieren“ – Eckart Fiedler, Barmer-Chef

Quelle: Financial Times Deutschland

Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.

Diskutieren Sie mit