Mit ihrem neuen Tarif kommt die Allianz genau rechtzeitig für Vertragswechsler · HUK-Coburg im Visier
Von Herbert Fromme Die schlechte Nachricht kam am Donnerstag, 16. September 2004. In knappen Worten teilte Allianz-Vorstandsmitglied Karl-Walter Gutberlet seinen Kollegen im Fachausschuss des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft bei einer Sitzung in Bonn mit, dass der Marktführer seit dem 1. September mit einem neuen Tarif arbeitet. Mehr könne er aus Kartellrechtsgründen nicht sagen.
Eine Debatte gab es nicht. Die meisten Assekuranzchefs hatten noch keine Ahnung, welche Bombe Gutberlet gezündet hatte. Denn der neue Tarif bedeutet nach Angaben aus unternehmensnahen Kreisen Preissenkungen von im Schnitt elf Prozent – nach Berechnungen mancher Konkurrenten 13 Prozent. Bei Fahrern in bestimmten Berufsgruppen gibt die Allianz sogar um 30 Prozent und mehr nach, zum Beispiel bei Beamten.
Damit ist klar, auf wen Allianz-Sachchef Reiner Hagemann mit seinem neuen Tarif zielt. Das ist vor allem der Marktzweite HUK-Coburg, traditionell ein Versicherer des öffentlichen Dienstes. Die Coburger verstanden die Botschaft. Sie antworteten wenige Wochen später mit dem Vorziehen ihres neuen Tarifs – statt am 1. Januar kommt er jetzt schon am 1. November. Das ist eine gewaltige Leistung in einer Zeit, in der in der Assekuranz Programmierer- und Rechenzentrumszeit knapp bemessen ist. Schließlich stehen gigantische Änderungen in der Lebensversicherung bevor.
Aber die HUK-Coburg musste die Änderung vorziehen. Nur so konnte sie schon in dem Monat antworten, in dem die meisten wechselwilligen Autofahrer ihre Verträge kündigen. Mit 30 Tagen Frist können sie zum Jahresende ihrem bisherigen Anbieter den Laufpass geben. Der November ist das High Noon der Autoversicherung. Nicht umsonst hatten Hagemann und Gutberlet die Einführung des Allianz-Tarifs passgenau auf den 1. September gelegt – rechtzeitig für das Wechselgeschäft 2005, zu spät für die meisten Konkurrenten, die nicht mehr rechtzeitig mit einem eigenen neuen Tarif kontern können.
Der Preiskrieg in der Autoversicherung ist da. Die Allianz war es satt, Jahr für Jahr Marktanteile zu verlieren. Der Marktführer hatte Ende vergangenen Jahres 8,8 Millionen Fahrzeuge versichert, fast 200 000 weniger als ein Jahr zuvor. Das entspricht einem Marktanteil von knapp 18 Prozent. Die HUK-Coburg kommt auf 14 Prozent, gemessen an der Zahl der Fahrzeuge – Tendenz stark steigend.
Mit 22,4 Mrd. Euro Prämieneinnahmen jährlich ist die Autoversicherung die drittgrößte Versicherungssparte in Deutschland hinter den Lebens- und Krankenversicherungen. Außerdem gilt die Autodeckung, die jeder Pkw-Besitzer abschließen muss, als Türöffner für den Verkauf anderer Verträge. Auch wenn ein Vertreter kaum mehr als 60 Euro für den Verkauf einer Autopolice bekommt, hat er doch an einem soliden Bestand Interesse. Denn das ergibt viele zusätzliche und lukrativere Geschäftsmöglichkeiten.
Schon einmal hatte der Marktführer auf fallende Marktanteile mit einem Preiskrieg reagiert. 1996 führte die Allianz ein neues, großzügiges Rabattsystem ein. Das war der Auslöser für jahrelange hohe Verluste der Versicherer in der Autosparte, die nicht mehr durch die Kapitalerträge ausgeglichen wurden und zu roten Zahlen in Milliardenhöhe führten. Mit blutigen Nasen hatten auch die Allianz-Manager geschworen, das nie wieder zu tun.
Jetzt beginnt ausgerechnet dieses Unternehmen erneut mit der Preissenkungsrunde. Zwei Jahre lang hat die Versicherungswirtschaft mit Autodeckungen gutes Geld verdient, die Preise sind hoch, die Zahl der Unfälle sinkt. Das besondere an der Allianz: Sie kann es sich am ehesten leisten. Denn die Gruppe verdient zur Zeit in dieser Sparte besonders gut.
Anders als 1997 könnte die Strategie dieses Mal Erfolg haben. Denn der Marktführer kommt mit einem so genannten Black-Box-Tarif auf den Markt – schwer zu kopieren, schwer von der Konkurrenz zu bekämpfen und in kurzer Zeit veränderbar. Der Vertreter gibt Parameter wie Alter, Kilometerleistung, Garage oder Branche des Arbeitgebers ein, sein Laptop spuckt einen Preis aus. Wie der zustande gekommen ist, weiß der Vertreter nicht mehr – und die Konkurrenz erst recht nicht.
Auch andere Versicherer haben inzwischen auf die Allianz reagiert und ihre Preise gesenkt. Ob dem Marktführer das Vorpreschen nutzt, wird von vielen Konkurrenten allerdings bezweifelt. „Alle Vertreter haben die Hände voll mit dem Schlussverkauf im Lebensversicherungsgeschäft“, sagte ein Manager. „Die haben überhaupt keine Zeit, neue Kunden zu gewinnen.“
Bild(er):
Auf der Cadillac Ranch in Amarillo, Texas, hat der Künstler Stanley Marsh alte Pkw im Boden versenkt. Kfz-Versicherer setzten im letzten Preiskrieg Milliarden in den Sand – Bilderberg
Quelle: Financial Times Deutschland
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