Von Ilse Schlingensiepen, Köln Das Gesundheitswesen ist ein Jobmotor, behaupten vor allem die Lobbyisten der Gesundheitswirtschaft. Bei den Experten ist das tatsächliche Beschäftigungspotenzial des Sektors aber umstritten.
Ende 2003 arbeiteten laut Statistischem Bundesamt 4,2 Millionen Menschen im Gesundheitswesen, das war jeder neunte Beschäftigte. 2003 wuchs die Beschäftigung um 25 000 oder 0,6 Prozent, während sie in der Gesamtwirtschaft konstant blieb.
Die Zahl neuer Jobs in der Branche könnte bundesweit bis 2015 um 400 000 bis 900 000 zunehmen, überschlägt Josef Hilbert auf der Basis von Berechnungen für Nordrhein-Westfalen. Er ist Leiter des Forschungsschwerpunktes Gesundheitswirtschaft des Instituts Arbeit und Technik. „Ganz entscheidend werden die Modernisierungsstrategien und die Innovationsfähigkeit der Branche sein“, sagt Hilbert. 50 Prozent des möglichen Anstieges der Beschäftigungszahlen entfallen in seinen Szenarien auf Altenhilfe und Altenpflege. „Das Gesundheitswesen ist einer der wenigen internen Wachstumsmotoren in Deutschland“, sagt Kai Gramke, Bereichsleiter Prognosen, Szenarien, Trends bei der Schweizer Prognos AG.
Das Institut rechnet bis 2020 mit rund 700 000 zusätzlichen Stellen im deutschen Gesundheits- und Sozialwesen. Diese Größenordnung sei unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen, sagt Gramke. „Wenn die öffentlichen Gelder für Gesundheitsleistungen nicht reichen, wird mehr aus privaten Mitteln finanziert werden.“
Die steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen bringt aber nicht automatisch einen Nettozuwachs an Arbeitsplätzen, betont Jochen Pimpertz, Sozialexperte beim Institut der Deutschen Wirtschaft. „Man muss gegenrechnen, was an anderer Stelle durch steigende Sozialabgaben wegfällt.“ Nur wenn Kranken- und Pflegeversicherung wettbewerblich organisiert werden, kann sich das Potenzial realisieren, sagt er. Vor übertriebenen Hoffnungen auf schnelle Beschäftigungseffekte warnt auch Volkswirt Jürgen Stanowsky von der Allianz/Dresdner Bank. Die mit der Gesundheitsreform angeschobenen Effizienzsteigerungen werden zunächst Beschäftigungseffekte kompensieren. „Bis 2010 ist keine Beschäftigungswirkung zu erwarten“, sagt Stanowsky.
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Krankenpflege in Berlin-Neukölln: Das Beschäftigungspotenzial des Sektors ist umstritten – Paul Glaser
Quelle: Financial Times Deutschland
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