Eigentlich könnte es der Branche kaum besser gehen. 2004 war ein Rekordjahr für die Lebensversicherer – 11,5 Millionen neue Verträge haben sie verkauft. Und welcher Industrie- oder Dienstleistungszweig kann schon, wie die Lebensversicherer, darauf setzen, dass die Politiker fast aller Parteien für neues Geschäft sorgen? Kein Tag vergeht ohne Mahnung aus Berlin oder von Professor Bert Rürup in Talkshows oder Interviews, dass die Bürger ihre private Vorsorge stärken müssen – und Regierung und Opposition sorgen einträchtig durch Rentenkürzungen dafür, dass diese Aufforderung auch ein drastisches materielles Gewicht bekommt.
Die Lebensversicherungsmanager werden deshalb nicht müde, ihr Geschäft als Zukunftsbranche zu vermarkten. Allerdings hat das bisher zumindest bei Anlegern nicht verfangen. Zwar erholen sich auch Versicherungsaktien – allerdings deutlich schlechter als der Rest des Marktes. Noch deutlicher wird das Misstrauen der Märkte in die Zukunftsaussichten der Branche bei der Betrachtung von Übernahmen und Zukäufen. Versicherungsgruppen sind zurzeit nur schwer verkäuflich. Ob Winterthur, Gerling oder MLP Versicherungen – das Interesse ist nicht sehr groß, und die Preisvorstellungen zwischen Verkäufern und Käufern klaffen in der Regel deutlich auseinander. „Es gab zwar Interessenten, aber niemand wollte einen adäquaten Preis zahlen“, kommentierte Credit-Suisse-Chef Oswald Grübel das Scheitern der Verkaufspläne für die Versicherungstochter Winterthur. Auch Protektor, die Auffanggesellschaft der deutschen Assekuranz, fand keinen Abnehmer für den Vertragsbestand der früheren Mannheimer Lebensversicherung, den Protektor verkaufen wollte.
Die Zurückhaltung hat gute Gründe. Die Marktaussichten der deutschen Lebensversicherer mögen gewaltig sein – an ihrem Geschäftsmodell und den Rahmenbedingungen gibt es erhebliche Zweifel.
Vor allem die international arbeitenden Konzerne glauben, dass sie mit der Lebensversicherung in Deutschland zu wenig verdienen. Zwar hat das deutsche System den für die Kapitalgeber einzigartigen Vorteil, dass die Kunden selbst den größeren Teil des Eigenkapitals aufbringen – dennoch sei die Rendite verglichen mit Lebensversicherungsgesellschaften in anderen Ländern zu gering, klagen die Konzernchefs.
Einer der Gründe dafür ist die Verteilung der Überschüsse aus den Kapitalanlagen, die in Deutschland im Verhältnis 90 zu 10 den Versicherten gutgeschrieben werden müssen, während den Unternehmen – also den Aktionären – höchstens zehn Prozent zustehen. Auch die im deutschen System eingebauten Garantien stellen ein Problem für die Branche dar. Zurzeit sichern die Unternehmen ihren Kunden zu, den Sparanteil des Beitrags – das ist die Gesamtprämie minus Kosten und Risikoprämie – mit mindestens 2,75 Prozent zu verzinsen.
Jahrzehntelang war das kein Problem, weil die von den Gesellschaften verdienten Zinsen weit über den versprochenen Garantien lagen. Das ist heute anders. Im Gesamtbestand müssen die Lebensversicherer 3,5 Prozent Garantien bedienen – und das auf den größten Teil ihrer Kapitalanlagen in Höhe von rund 620 Mrd. Euro. Für Neuanlagen in festverzinsliche Papiere bekommen sie derzeit weniger als vier Prozent. Da ist wenig Luft.
Das Problem verschärft sich künftig noch: Die neuen internationalen Regeln für die Bilanzierung sorgen dafür, dass die Unternehmen künftig deutlich mehr Eigenkapital für langfristige Verpflichtungen vorweisen müssen. Die Garantien sind solche Verpflichtung. Auch die neuen Eigenkapitalvorschriften der EU, die unter dem Stichwort Solvency II eingeführt werden sollen, führen zu mehr Kapitalbedarf.
Schließlich ändert sich nach der Steuerreform sehr wahrscheinlich die Laufzeit der Verträge. Bisher waren die meisten Policen steuerlich geförderte Kapitalanlageverträge mit einem Element der Risikoabsicherung. Das galt auch für die Rentenversicherungen, die alle ein eingebautes Kapitalwahlrecht hatten – das die Kunden auch regelmäßig wahrnahmen. Die durchschnittliche Laufzeit der Verträge betrug bei den meisten Unternehmen weniger als 20 Jahre. Heute abgeschlossene Verträge dienen viel eher tatsächlich der Altersvorsorge und werden deshalb viel länger laufen, auch in der Phase der Rentenauszahlung. Das heißt aber auch, dass die Garantien länger Bestand haben und für die Versicherer noch teurer werden. Bernhard Schareck, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, sucht Lösungen für das Problem. „Ich bin für die Konstruktion eines Adjustierungsmechanismus, der eine Anpassung ermöglicht“, sagte er der FTD.
Quelle: Financial Times Deutschland
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