Die neuen Regeln für die Altersversorgung haben weitreichende Auswirkungen auf die Vertriebswege in der deutschen Finanzwirtschaft. Zum ersten Mal müssen die Lebensversicherer mit ernsthafter Konkurrenz der Fondsgesellschaften rechnen.
Was die mobile Vertriebskraft anging, stand die Assekuranz mit ihren Vertretern bisher unangefochten da. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) schätzt die Zahl der freiberuflichen Versicherungsvertreter auf 407 000. Mindestens 79 000 von ihnen arbeiten hauptberuflich, die übrigen nebenberuflich. Hinzu kommen noch 53 000 Angestellte, die von freiberuflichen Vertretern beschäftigt werden.
Doch die Vertriebsmacht der Assekuranz verliert an Bedeutung, wie das Beratungsunternehmen Tillinghast herausgefunden hat. Nur noch 37 Prozent der Lebensversicherungen werden von eigenen Vertretern verkauft. 2001 waren es noch 40 Prozent. Unabhängige Makler und Vertriebe machen schon 26 Prozent statt 24 Prozent aus, Bankschalter 25 Prozent statt 23 Prozent. Mit dem Vormarsch der freien Vermittler werden die Lebensversicherer anfälliger – sie stehen bei den Vertrieben im Wettbewerb mit anderen Kapitalanlagen.
Bisher waren die Angebote der Versicherer für Vertriebe wie MLP, AWD, OVB oder DVAG äußerst attraktiv. Der Hauptgrund: Die Versicherer können bei Kapitallebensversicherungen, bei denen der Kunde erst über Jahre seine Gesamtprämie einzahlt, die Gesamtprovision zu Beginn des Vertrages zahlen. Sie beläuft sich in der Regel auf vier bis sechs Prozent der insgesamt vom Kunden zu zahlenden Beiträge. Diese Vorabprovision bringt der Kunde auf; seine ersten Beiträge werden vor allem für diesen Zweck verwendet. Dieses System erfand der Mathematiker August Zillmer, der von 1831 bis 1893 lebte. Deshalb heißt das Verfahren Zillmerung.
Die Kapitallebensversicherungen sind seit dem Wegfall des Steuerprivilegs ein Auslaufmodell. Zwar können die Versicherer auch die neuen Basis- oder Rürup-Rente zillmern – im Gegensatz zur Riester-Rente, wo die Provision dem Kunden nur gleichmäßig über mehrere Jahre berechnet werden darf. Doch die Rürup-Rente ist gerade im Vertrieb umstritten. Sie wird als Leibrente steuerlich stark gefördert, hat aber Handicaps.
So darf sie nicht vorzeitig gekündigt werden, kann nur als Rente – nicht als Einmalbetrag – ausgezahlt werden und ist auch nicht vererbbar. Wer sich mit 30 Jahren für einen Rürup-Vertrag entscheidet, hat sich für sein ganzes Leben gebunden, wenn er nicht sein eingezahltes Geld einfach wegwerfen will.
Die freien Vertriebe suchen nach Alternativen. Sie können statt Lebenspolicen auch Investmentfonds verkaufen, wenn die Provisionen stimmen. Deshalb bieten Fonds ihnen jetzt Provisionssätze an, die mit den großzügigen Regelungen der Lebensversicherer mithalten. Vor allem aber garantieren sie eine hohe Vorabprovision. Dem stehen bei Fonds mit Sitz in Deutschland zwar gesetzliche Regeln entgegen. Die stören aber nicht, wenn die Fondsgesellschaft Produkte von Töchtern in Luxemburg oder Irland anbietet.
Zwar handelt es sich nicht um eine Zillmerung im strengen Sinn, weil das versicherungsmathematische Verfahren auf Fonds nicht angewendet werden kann. Aber der Effekt ist ähnlich: Eine hohe Provision fließt sofort.
Als erster Großvertrieb hat AWD auf die Herausforderung reagiert und so genannte Policenfonds angekündigt. Dabei werden Fonds zusammen mit Versicherungspolicen für die Risiken Todesfall und Berufsunfähigkeit verkauft. Das Kapitalsammelgeschäft findet nicht mehr beim Lebensversicherer statt. AWD zufolge könnte dies für Kunden interessanter sein als die Rürup-Rente.
Quelle: Financial Times Deutschland
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