Der US-Versicherungsgigant American International Group (AIG) sieht sich mit neuen Vorwürfen der Bilanzschönung konfrontiert. Die Bedrohung ist diesmal deutlich größer für den Konzern und führte gestern zum Rücktritt des 79-jährigen Chefs Maurice Greenberg.
Bei der letzten Untersuchung ging es um den Vorwurf, AIG habe kleineren Unternehmen geholfen, ihre Bilanz zu polieren. Diesmal behaupten der New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer und die Börsenaufsicht SEC, AIG habe 2000 und 2001 in mehreren Geschäften mit dem Rückversicherer Gen Re seine Reserveausstattung besser dargestellt als tatsächlich vorhanden und damit den Börsenkurs positiv beeinflusst. Gen Re gehört zu Berkshire Hathaway, dem von Warren Buffett kontrollierten Konglomerat.
Seit dem 11. Februar, als erste Nachrichten über den Skandal veröffentlicht wurden, verlor die AIG-Aktie 15 Prozent. Gestern wurde sie mit 63,98 $ gehandelt – einem Minus von 1,1 Prozent.
Neben Spitzer und SEC hat sich das US-Justizministerium eingeschaltet. Die Ermittler haben Unterlagen von fast allen großen Unternehmen der Branche angefordert, darunter auch Zurich Financial und Swiss Re. Doch im Zentrum der Untersuchungen stehen die US-Konzerne AIG und General Re.
Die Fahndung konzentriert sich dabei auf Finanzrückversicherungen, Instrumente, die eher einem Bankprodukt entsprechen als einer klassischen Risikoversicherung. Die Behörden hegen den Verdacht, dass mit diesen auch Bilanzkosmetik betrieben wird: Versicherungsvorstände können mittels Finanzrückversicherungen ihre Ergebnisse getrimmt haben, um den Erwartungen der Wall Street zu entsprechen.
Im November 2004 einigte sich AIG mit dem Justizministerium und der SEC gegen Zahlung von 126 Mio. $ in zwei kleineren Fällen, bei dem das Unternehmen „Versicherungsgeber“ war – wobei es sich nach Ansicht der Behörden eben nicht um eine Versicherung handelte. Es ging um die Bank PNC Financial aus Pittsburgh und die Handyvertriebskette Brightpoint aus Indiana. Mit einem Finanzdeal, der als Versicherung maskiert war, konnten die beiden Unternehmen bessere Zahlen darstellen, als sie verdient hatten.
Die neuen Vorwürfe beziehen sich auf die AIG-Reserven. Das Unternehmen habe sich bei Gen Re Reserven in Millionenhöhe „geliehen“, um einen Rückgang des Börsenkurses zu vermeiden. Denn obwohl AIG mehr als 25 Mrd. $ Schadenreserven hat, reagierten Anleger sehr empfindlich, als der weltgrößte Versicherer am 26. Oktober 2000 mit den Neunmonatszahlen einen Rückgang der Reserven um nur 60 Mio. $ bekannt gab. Der Kurs brach am selben Tag um sechs Prozent ein.
Die Behörden werfen AIG vor, bei den danach vorgenommenen Reservestärkungen zum Teil auf die Hilfe der Gen Re zurückgegriffen zu haben – in einem Deal, der in Wirklichkeit eine reine Finanztransaktion war, aber als Rückversicherungsgeschäft dargestellt wurde, obwohl keine entsprechenden Risiken von Gen Re übernommen wurden. So musste AIG die tatsächlich eingegangenen Verbindlichkeiten nicht zeigen.
Finanzrückversicherungsgeschäfte wirken wie ein Puffer. Will ein Versicherer vermeiden, sein aktuelles Ergebnis durch einen Milliardenschaden zu belasten, kann er einen solchen Vertrag bei einem Rückversicherer erwerben, der diesen Schaden auf mehrere Jahre verteilt. Damit der Deal als Versicherung und nicht als Kredit oder Kreditderivat gilt, müssen die beteiligten Parteien einen tatsächlichen Risikotransfer nachweisen, der aber nur rund zehnProzent der bewegten Gelder betreffen muss. Ohne Risikotransfer handelt es sich um einen Finanzvertrag, der als Verbindlichkeit gezeigt werden muss. „Alle großen Versicherungskonzerne arbeiten heute auf irgendeine Weise mit Finanzrückversicherungen – sie sind in der Branche verbreitet“, sagt Andrew Barile, ein unabhängiger Berater.
Für die Rückversicherer ergibt sich daraus ein lukrativer Markt: Vorwiegend über Ausgründungen auf Bermuda, Cayman Island und den Bahamas boten sie die Zwitterpolicen an und übernahmen Milliardenverluste der Versicherer in ihre Bücher. Zu den größten Mitspielern gehören AIG und General Re, aber auch die Swiss Re, Munich Re und Hannover Re bieten solche Produkte an.
Die US-Ermittler überprüfen nun offenbar, ob in allen Fällen ein tatsächlicher Risikotransfer zu dem Rückversicherer stattfand.
Quelle: Financial Times Deutschland
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