Assekuranz sucht Zukunftsmodell

Der Schlussverkaufsboom war gewaltig. Bis zum 31. Dezember haben Vertreter, Bankangestellte und Makler Lebensversicherungspolicen nach den alten Steuerregeln verkauft. Die wurden nun zum 1. Januar 2005 abgeschafft. Die Zahl der abgesetzten Lebensversicherungsverträge stieg 2004 um 36,7 Prozent auf 11,79 Millionen. Die Beitragssumme des Neugeschäfts über die gesamte Laufzeit lag 2004 mit 245,5 Mrd. Euro um 51,1 Prozent über der des Vorjahres.
Anders ausgedrückt: 11,8 Millionen Kunden haben sich verpflichtet, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten den Versicherern diese gewaltige Summe an Beiträgen zahlen. Das wird sich durch Kündigungen relativieren – mehr als fünf Prozent aller Kunden kündigen vorzeitig jedes Jahr –, es bleibt aber trotzdem ein großer Erfolg. Auch die Angestellten im Innendienst mussten Urlaubssperren und Überstunden hinnehmen um alle Verträge noch pünktlich auszustellen.
„Im Januar haben alle dann erst einmal Urlaub gemacht“, sagt Walter Thießen, Chef des AMB-Generali-Konzerns. Erst langsam kommen die Vertriebe wieder in Fahrt. Es besteht die Gefahr, dass die Assekuranz nach der Sause im vergangenen Jahr nun erst einmal einen gewaltigen Kater erleben wird.
Die Versicherer in Deutschland hatten nach dem Aktiencrash die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg einigermaßen überstanden. Und das Neugeschäft boomte. 2004 feierten die Versicherer einen ihrer größten Verkaufserfolge. Kaum eine Gesellschaft, die nicht per Pressemitteilung ihre Rekordzahlen in die Öffentlichkeit bläst. Das erinnert ein wenig an das laute Pfeifen im Walde. Denn wie es weitergeht, weiß kaum ein Manager. Die Allianz Leben hat sogar einen Einstellungsstopp erlassen.
Die Assekuranz muss nun den strategischen Wechsel schaffen: Bisher hat sie vor allem eine Kapitalanlage verkauft. Künftig muss sie zum echten Berater in Sachen Altersvorsorge werden, wenn sie weiter so erfolgreich sein will.
Über Jahrzehnte hinweg waren Kapitalpolicen das wichtigste Produkt der Lebensversicherer. Sechs von zehn Verträgen in ihrem Bestand sind Kapital bildende Policen. „Wir gehen für die Zukunft von einer Halbierung des klassischen Lebensversicherungsgeschäfts mit Kapitaltarifen aus“, sagt Norbert Heinen, Chef der Gerling-Lebensversicherung.
Mit echter Altersvorsorge hatte die Lebensversicherung meist wenig zu tun. Vielmehr war sie der Deutschen liebste Geldanlage. Auch die zahlreichen Rentenverträge, die in den vergangenen Jahren verkauft wurden, enthielten die Ausstiegsklausel „Kapitalwahlrecht“. Die meisten Kunden nehmen diese auch wahr. Sie können sich nach zwölf Jahren ihre Policen auszahlen lassen, die Erträge sind steuerfrei.
Mit großer Findigkeit spürte die Assekuranz Möglichkeiten zur Nutzung dieses Steuerschlupflochs auf. Da gab es die berühmten Fünf-plus-sieben-Modelle. Kunden schlossen eine hohe Lebensversicherung gegen einen Einmalbeitrag ab. Das Geld wurde in einem so genannten Beitragsdepot geparkt, fünf Jahre lang speiste es die jährlichen Beitragszahlungen. Dann musste der Kunde noch sieben Jahre warten – und bekam den Ertrag steuerfrei.
Solche Modelle gibt es nicht mehr. Die Bundesregierung hat auf Vorschlag der Rürup-Kommission die Steuerbefreiung von Lebensversicherungen weitgehend abgeschafft. Für die Versicherer stellt sich die bange Frage, was sie künftig verkaufen sollen: Die neue Rürup-Rente? Die schon bekannte und jetzt aufgemöbelte Riester-Rente? Oder die alten Lebensversicherungen, die – wenn sie tatsächlich als Rente ausgezahlt werden – auch steuerlich attraktiv sein können? „Der Markt wird durch eine kollektive Lernphase gehen“, sagt Norbert Heinen.
Mit ihren Rentenkürzungen treibt die Politik den Versicherern zwar Kunden in die Arme. Aber auch in Deutschland werden die Einkommen knapper, die Versicherer konkurrieren direkt mit dem Konsum. „Da heißt es TUI oder AWD, neues Auto oder Altersvorsorge“, sagt Carsten Maschmeyer, Vorstandsvorsitzender des Finanzvertriebs AWD.
Insgesamt ist der Versicherungsmarkt kollektiv verunsichert. Erst in sechs bis zwölf Monaten wird man wissen, was Vertriebe und Kunden wollen. Dabei steht die Branche vor weiteren großen Herausforderungen, für die manche Versicherer schlecht gerüstet sind. Im Schaden- und Unfallgeschäft, in dem Unternehmen Autos, Gebäude, Hausrat oder Maschinen versichern, kippt der Preistrend gerade. Preissenkungen in der Autoversicherung sind wahrscheinlich. Marktführer Allianz und andere haben sie schon eingeführt. Hier haben die Unternehmen aber das meiste Geld verdient.
Auch Gesetze und Verordnungen bringen massive Änderungen. Die Einführung der internationalen Bilanzregeln IFRS und der neuen Eigenkapitalstandards Solvency II stehen in den nächsten fünf Jahren an. Beide Neuerungen werden voraussichtlich zur Folge haben, dass vor allem kleinere Versicherer mehr Eigenkapital als bisher benötigen.
Vielen Unternehmen wird das schwer fallen – sie haben dazu einfach nicht die finanzielle Kraft. Eigentlich wäre das die Zeit, über Fusionen und Übernahmen nachzudenken. Der deutsche Markt ist, verglichen mit anderen europäischen Ländern, stark fragmentiert. Von den mehr als 100 mittleren und größeren Lebensversicherern haben nur 20 einen Marktanteil von mehr als einem Prozent. Dennoch ist eine Übernahmewelle derzeit unwahrscheinlich. Noch sind die Preisvorstellungen der Verkäufer zu hoch und die Risiken, die in den Unternehmen schlummern, zu undurchschaubar.
Wahrscheinlicher ist deshalb eine andere Lösung: Viele Versicherer könnten Geschäftszweige, für die sie nicht genug Kapital haben, aufgeben. Die entsprechenden Produkte könnten sie bei anderen Gesellschaften zukaufen– ihre Vertriebe aber behalten. Zumindest mittelfristig könnte dies die deutsche Form der überfälligen Konsolidierung werden.

Quelle: Financial Times Deutschland

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