Es macht nicht immer Spaß, an der Spitze einer deutschen Krankenkasse zu stehen. Die Manager der Kassen müssen, per Gesetz verpflichtet, ihre Gehälter offen legen – und finden die Summen fast täglich in der „Bild“, die ihre Veröffentlichung mit heftiger Kritik am angeblich mangelnden Sparwillen der Kassenbosse würzt. Auf das Gesundheitswesen einzuprügeln ist modern.
Ihre Kollegen von der privaten Konkurrenz, die in der Regel ein Mehrfaches verdienen, sind auch nicht zu beneiden. Die Zukunft ihrer Unternehmen, und damit ihre eigene, steht auf des Messers Schneide. Gleichgültig, ob SPD oder CDU/CSU die nächste Bundesregierung stellen – sollten die Parteien die verkündete Linie umsetzen, sollte also Bürgerversicherung oder Kopfpauschale kommen, wäre das das Ende der privaten Krankenversicherung in ihrer bisherigen Form. Das schafft Verunsicherung „Zurzeit ist keine Versicherungsgruppe verkaufbar, die einen größeren privaten Krankenversicherer hat“, urteilt das Vorstandsmitglied einer der größten zehn Versicherungskonzerne in Deutschland. Die Risiken aus der privaten Krankenversicherung seien einfach nicht kalkulierbar.
Die Probleme der Kassen mit der Öffentlichkeit und der privaten Versicherer mit den Anlegern stehen in merkwürdigem Kontrast zu ihrer ökonomischen Bedeutung. Das Gesundheitswesen gehört zu den wichtigsten Wachstumsbranchen in der deutschen Wirtschaft. Die zunehmende Lebenserwartung und der wissenschaftliche Fortschritt führen dazu, dass der Bedarf an medizinischen Dienstleistungen, Arzneimitteln und anderen Produkten rund um die Gesundheit schon heute deutlich steigt und künftig rasant zunehmen wird. Aber: Die Gesellschaft ist immer weniger dazu bereit, die Kosten dafür auf der heutigen Geschäftsgrundlage zu tragen.
Die Politik reagiert auf den Unmut über steigende Kassenbeiträge seit Jahrzehnten mit Kostendämpfungsgesetzen – was Wachstumsimpulse hemmt. Die rot-grüne Bundesregierung hat erstmals mit neuen Vertragsfreiheiten für Kassen, Ärzte und Patienten neue Wege beschritten. Tatsächlich sanken die Ausgaben der Kassen 2004 zum ersten Mal seit Jahren. Den Preis dafür zahlten die Versicherten mit Praxisgebühr und anderen Zuzahlungen. Bei den privaten Versicherern ist dieser Trend nicht sichtbar. Ihnen fehlen die entsprechenden Instrumente zur Kostendämpfung, die sie jetzt von der Politik einfordern.
Mit der Gesundheitsreform weichen die strikten Grenzen zwischen den Systemen auf, gesetzliche Krankenkassen können Ergänzungspolicen der Privaten anbieten. Leistungen, die von den Kassen nicht mehr gezahlt werden, können deren Mitglieder privat absichern.
Vielen reicht das alles nicht. Die Rufe aus Wirtschaft und Gesellschaft nach einem grundlegenden Systemwechsel werden immer lauter. Die Berliner Parteien sind aufgefordert, den Spagat zu schaffen zwischen dem erwünschten Boom auf dem Gesundheitsmarkt auf der einen und der geforderten Senkung der Kassenbeiträge auf der anderen Seite.
Der Trend ist klar: Die Politik will die Krankheitskosten von den Lohnnebenkosten abkoppeln. SPD und Grüne favorisieren dabei die Bürgerversicherung, die ein Ende der privaten Krankenversicherung bedeuten würde. Entsprechend vehement sind die Versicherer gegen dieses Konzept. Die Christdemokraten wollen dagegen mit der Kopfpauschale am bisherigen System festhalten, aber eines seiner grundlegenden Prinzipien abschaffen. Statt eines Beitrags, der vom Einkommen abhängig ist, sollen alle gesetzlich Versicherten einen gleich hohen Beitrag zahlen. Wer ihn nicht aufbringen kann, soll mit Steuergeldern subventioniert werden. Der Arbeitgeberbeitrag wird bei diesem Modell eingefroren – steigende Ausgaben tragen also allein die Versicherten. Beide Konzepte würden das bisherige System revolutionieren.
Viele Beteiligte glauben, dass es dazu nicht kommt. Denn viele Marktteilnehmer wollen keine grundlegende Änderung. „Das System muss evolutionär weiterentwickelt werden“, sagte Reinhold Schulte, Chef der Signal-Iduna-Gruppe und Präsident des PKV-Verbandes. Rasche Umwälzungen seien wenig nützlich.
Eines jedenfalls steht fest: Die Entscheidung über die Weichenstellung für das Gesundheitswesen wird erst nach der Bundestagswahl 2006 getroffen. Bis dahin wird die Unsicherheit anhalten. Aber kluge Manager in beiden Systemen bereiten sich jetzt schon auf die neue Zeit vor.
Quelle: Financial Times Deutschland
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