Unruhe im Vorstand des Autoherstellers Z. Im Oktober stellt sich heraus, dass der Konzern sein geplantes Jahresergebnis kaum erreichen wird. Die Börse dürfte negativ reagieren, der Kurs und die Bonuszahlungen des Managements sind in Gefahr. Da kommt Finanzchef G. mit einer innovativen Lösung. Er bittet die wichtigsten Zulieferer, für den Rest des Jahres die Preise um die Hälfte zu senken. Den ausstehenden Betrag will der Autokonzern in den nächsten Jahren mit Zinsen zurückzahlen. Die überraschende Kostensenkung zeigt Wirkung. Der Unternehmensgewinn steigt, auch Aktienkurs und Boni gehen in die Höhe.
In der Realität wäre solch ein Vorschlag nur schwer umzusetzen. Die Wirtschaftsprüfer würden darauf bestehen, die Schulden bei den Zulieferern als ebensolche auszuweisen, schon ist der schöne Zusatzgewinn dahin. Die Börsenaufsicht würde aufmerksam, der Autokonzern Z. der Bilanzfälschung bezichtigt.
In der Assekuranz funktionieren solche Modelle dagegen seit Jahrzehnten problemlos. Erst vor einigen Monaten begannen Staatsanwälte, Börsenaufsicht und Versicherungsaufseher in den USA, hinter die Kulissen der Bilanzgestaltung führender Unternehmen zu schauen. Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht der nach Börsenkapitalisierung weltgrößte Versicherer AIG. Er hat inzwischen Bilanzfälschungen in größerem Umfang eingestanden und seinen langjährigen Konzernchef Maurice Greenberg abgelöst.
Transparenz fehlt
Das Schema ist immer dasselbe. Ein Versicherer findet, dass er in einem bestimmten Jahr zu hohe Schäden, zu niedrige Reserven oder einen zu kleinen Jahresgewinn hat. Ein Rückversicherer kann helfen. Als Rückversicherungsvertrag getarnt, wird eine Darlehensvereinbarung getroffen. Zwar enthält auch sie – wie ein traditioneller Rückversicherungsvertrag – ein Element des Risikos. Es muss aber zehn Prozent der bewegten Beträge nicht übersteigen. Der Rest ist pure Finanzierung. Doch während Finanzchef G. beim Autohersteller Z. einen solchen Kredit in der Bilanz zeigen muss, kann ein Versicherer ohne Offenlegung durchkommen.
Mit Recht verweist die Assekuranz auf bedeutende Unterschiede zwischen Industrie und Versicherungswirtschaft. Die Versicherer müssen mit sehr stark fluktuierenden Schadenbelastungen zurechtkommen: In dem einen Jahr gibt es einen katastrophalen Sturm, im nächsten nicht. In der Lebensversicherung fallen die Kosten immer am Anfang an. Wer schnell wächst, hätte dann jahrelang schlechte Ergebnisse. Auch das müsse ausgeglichen werden, um ein faires Bild der wirtschaftlichen Lage zu geben, sagen Versicherer.
An den Argumenten ist einiges dran. Allerdings nur, wenn mit offenem Visier gekämpft wird – auch in der Konkurrenz um das Kapital der Anleger. Die Versicherer wollen aber beides: hohe Schwankungen aus Schäden aushalten und zugleich den Kapitalmärkten erzählen, der Gewinn gehe stetig aufwärts. Es fehlt Transparenz.
Wenn der ehemalige MLP-Chef Bernhard Termühlen Analysten und Aktionären 2000 und 2001 freimütig mitgeteilt hätte, dass die von ihm vorhergesagten stetigen Gewinnsteigerungen von 30 Prozent pro Jahr nur mittels Vorfinanzierung durch große Rückversicherer möglich waren, wäre der Kurs wohl nicht über 160 Euro geschossen. Termühlens sehnlicher Wunsch, mit seiner Aktie im Dax vertreten zu sein, wäre nicht in Erfüllung gegangen. So aber stürzte der schöne Schein Anleger ins Unglück. Gestern kostete das Papier gerade noch 11,38 Euro. Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat deshalb Anklage wegen Bilanzfälschung erhoben. Das Gericht hat noch nicht entschieden, ob sie zugelassen wird. Käme der Prozess zustande, wäre es der erste vor deutschen Gerichten, bei dem Gewinnhilfen in der Assekuranz verfolgt würden.
Laxe deutsche Aufsicht
MLP verweist auf vier Gutachten hochrangiger Bilanzexperten, die dem Unternehmen branchenübliche Praktiken bescheinigten. Es mag sein, dass einige dieser Praktiken gängig waren. Aber es macht einen gewaltigen Unterschied, ob der kapitalschwache Pfefferminzia Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit mit Hilfe eines Rückversicherers seine Bilanzen aufsichtskonform auffrischt – oder ob ein börsennotierter Finanzvertrieb wie MLP sich anschickt, mit heimlicher Unterstützung einen dauerhaft steigenden Gewinn vorzugaukeln, um Anleger zu gewinnen.
Die vom US-Versicherungsgiganten AIG eingestandenen Bilanzfälschungen sollten auch in Deutschland zu einer höheren Sensibilisierung gegenüber allzu kreativen Lösungen führen. Bisher ist die Finanzaufsicht BaFin hier lax vorgegangen. Zum Beispiel durfte die Gerling Lebensversicherung eine eigene Rückversicherungstochter gründen, bei der sie sich dann Gewinne vorfinanzieren ließ.
Ein einfacher Maßstab: Jedes Geschäft muss einen wirtschaftlichen Zweck für das Unternehmen haben. Besteht der nicht und wird der Deal nur organisiert, um kurzfristig Bilanz oder Ertragsrechnung aufzupumpen, sollten bei Anlegern und Aufsehern Alarmglocken schrillen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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