Vom Geizhals zum Gutmenschen

Stiftungen im Gesundheitsbereich sind nicht nur Lückenfüller bei der Forschungsförderung. Sie sind auch Schrittmacher für Innovationen

Geizhals hinterließ 500 Millionen für Krebsforschung“, so hat eine Münchner Boulevardzeitung nach einer der spektakulärsten Testamentseröffnungen der vergangenen Jahrzehnte getitelt. Der Unternehmer Wilhelm Sander, als Pfennigfuchser bekannt, hatte verfügt, dass sein Vermögen in eine medizinische Stiftung eingebracht wird. Vermuteter Hintergrund des überraschenden Vermächtnisses: Die Haushälterin des Mannes war an Krebs gestorben und auch er selbst hatte einige Zeit befürchtet, an einem Tumor erkrankt zu sein.

Heute gehört die 1975 gegründete Wilhelm-Sander-Stiftung zu den 15 größten Stiftungen der Bundesrepublik. Seit der Gründung hat sie 150 Mio. Euro für die medizinische Forschung bereitgestellt; allein 11 Mio. Euro im vergangenen Jahr.

Wie Sander hinterlassen immer mehr Menschen in Deutschland Teile ihres Hab und Guts der medizinischen Forschung. Motiv für viele Gründungen ist die eigene Betroffenheit, sagt Christoph Mecking von der Agentur Stiftungskonzepte in Berlin, die Initiatoren berät. „Häufig haben Gründer ein Kind oder einen Partner durch eine Krankheit verloren.“ Zurzeit sind beim Bundesverband Deutscher Stiftungen 675 Einrichtungen mit medizinischem Hintergrund registriert, vor fünf Jahren waren es noch 537.

Die Gelder fließen zum einen in Bereiche, in die der Staat angesichts leerer Kassen nicht mehr investiert. Zum anderen wird das Kapital dafür verwandt, den Fortschritt in Gebieten voranzutreiben, die für die Pharmaindustrie nicht von Interesse sind. Darunter fällt beispielsweise die Entwicklung von Medikamenten gegen seltene Krankheiten. Diese Arzneimittel haben nur geringe Absatzchancen, weil sie nur von wenigen Patienten benötigt werden. Manche Gründungen wie die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung betreiben sogar eigene Kliniken.

„Der Staat zieht sich vermehrt zurück. Wir beobachten, dass immer mehr Antragsteller sagen, wir erhalten immer weniger Forschungsgelder“, sagt Bernhard Knappe vom Vorstand der Sander-Stiftung. Auch der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft registriert vermehrtes Interesse. „Wir merken anhand des gestiegenen Antragsvolumens, dass die Förderaktivitäten der Stiftungen stärker nachgefragt werden als vor zehn Jahren“, sagte Marilen Macher, Teamleiterin Medizin und Biowissenschaften.

Hintergrund für einen Teil der Anträge sei, dass viele für die Universitäten wichtige Geldgeber nur Grundlagenforschung förderten, aber keine anwendungsbezogenen wissenschaftlichen Projekte.

Beim Stifterverband finden Stiftungen Unterschlupf, die sich keine eigene Geschäftstelle leisten können oder wollen. Der Verband verwaltet rund 350 Stiftungen und setzt ihre Programme um. 70 von ihnen fördern die medizinische Forschung mit jährlich etwa 22,8 Mio. Euro.

Doch Stiftungen sind nicht nur Lückenfüller, sondern auch Schrittmacher des medizinischen Fortschritts. Neue wissenschaftliche Strömungen haben es schwer, auf den herkömmlichen Wegen finanzielle Mittel für die nötige Forschung zu bekommen.

Ein Beispiel dafür ist die Palliativmedizin. Diese Disziplin kümmert sich um die schmerztherapeutische Versorgung von Todkranken. „Vor zehn Jahren war die Palliativmedizin noch kein Thema“, sagt Stiftungsexpertin Macher.

Dass mittlerweile der Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung gefordert und teilweise auch umgesetzt wird, sei auch der Unterstützung der Stiftungen zu verdanken. Der bundesweit erste Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Universität Aachen etwa wäre ohne die Gelder der in diesem Bereich engagierten Grünenthal-Stiftung wohl nicht eingerichtet worden.

Zitat:

„Immer mehr Antragsteller sagen, dass sie immer weniger Forschungsgelder erhalten“ – Bernhard Knappe, Vorstand der Wilhelm- Sander-Stiftung

Bild(er):

Wohltäter: Die Finanzspritzen von Stiftungen ermöglichen neuartige Therapien gegen Krebs, hier eine Behandlung mit Stammzellen – laif/Stephan Elleringmann

Anja Krüger

Quelle: Financial Times Deutschland

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