Große Datenbanken mindern Risiken

Wissen ist Macht. Das gilt erst recht für das Geschäft mit der Kreditversicherung. Die Anbieter haben nur Erfolg, wenn sie Risiken richtig einschätzen. Deshalb sammeln sie riesige Mengen von Daten über Unternehmen.

Ein Möbelhersteller aus Westfalen will an eine Hotelkette in Brasilien Tische im Wert von 100 000 Euro liefern. Aber er ist sich nicht sicher, ob der Kunde die Rechnung auch tatsächlich begleichen kann. Er wendet sich an einen Kreditversicherer, damit der das volle Risiko übernimmt. Das macht der Kreditversicherer aber nur, wenn er den Kunden als zahlungskräftig einstuft. Ob das der Fall ist, finden die Mitarbeiter schnell heraus. Denn Kreditversicherer verfügen über gigantische Datenmengen zu unterschiedlichen Unternehmen. Auf der Grundlage dieser Informationen stellen sie die Bonität der Firmen fest, also ihre Zahlungskräftigkeit.

„Kernstück des Geschäfts der Kreditversicherer ist die Bonitätsprüfung“, sagte Sabine Enseleit vom Kreditversicherer Euler Hermes Deutschland. Die vom deutschen Versicherer Allianz kontrollierte Euler-Hermes-Gruppe mit Sitz in Paris ist Weltmarktführer. Fürchtet ein Unternehmen, dass ein belieferter Betrieb die Rechnung für die erhaltenen Waren nicht zahlt, schließt es eine Kreditversicherung ab. Der Kunde des Versicherers ist die liefernde Firma, das Risiko das belieferte Unternehmen. Der entscheidende Faktor für geschäftlichen Erfolg ist für die Kreditversicherer die richtige Bewertung dieses Risikos. Der Versicherer muss einschätzen können, wie riskant das Geschäft ist. Sonst kann er nicht entscheiden, ob er überhaupt die Deckung gewähren sollte und wie hoch die Prämie kalkuliert werden muss. Ist das Risiko extrem hoch, lehnt er die Übernahme ab. Oder er übernimmt nur einen Teil, haftet zum Beispiel nur zu 50 Prozent. Allerdings muss der Kunde auf jeden Fall zwischen 15 Prozent und 30 Prozent des Risikos selbst tragen. „Wir bemühen uns, unsere Entscheidung dem Kunden gegenüber zu begründen“, sagte Enseleit. Für das liefernde Unternehmen ist die Einschätzung des Kreditversicherers eine guter Anhaltspunkt, ob das angebahnte Geschäft überhaupt Erfolg versprechend ist.

Die Einschätzung eines Risikos ist nur auf der Grundlage einer exakten Analyse der individuellen Lage des belieferten Betriebs, aber auch seines wirtschaftlichen und politischen Umfelds möglich. Doch die Prüfung muss auch schnell gehen. Bei Euler Hermes werden weltweit täglich 20 000 Entscheidungen über Versicherungsanträge von Unternehmen gefällt, beim Weltmarktzweiten Atradius sind es 10 000. Damit die Prüfung schnell und gleichzeitig gut ist, haben die Kreditversicherer systematisch Datenbanken mit riesigen Beständen aufgebaut. Darin sind Informationen aus allen Märkten enthalten. Die Kreditprüfer in den verschiedenen Ländern haben Zugriff auf die gesamten Datenbestände. Euler Hermes verfügt über Informationen von rund 40 Millionen Unternehmen aus der ganzen Welt, Atradius über 45 Millionen und die Nummer drei im Weltmarkt, die französische Coface, über 44 Millionen Datensätze.

Diese Informationen stammen aus verschiedenen Quellen und werden ständig aktualisiert. „Jeder Kreditversicherer arbeitet mit Auskunfteien zusammen“, sagte Andrea Riedle von Atradius Deutschland. Diese auf regionale oder internationale Märkte spezialisierten Büros sammeln allgemein zugängliche Informationen über Unternehmen, bereiten sie zur Auswertung auf und verkaufen sie. Sie schauen zum Beispiel ins Handelsregister und analysieren Geschäftsberichte.

Außerdem beschäftigen die Kreditversicherer ganze Stäbe von eigenen Experten, die Informationen und Bankauskünfte einholen. Bei Euler Hermes sind allein in Deutschland rund 400 Mitarbeiter mit der Informationsbeschaffung befasst. Sie fordern unter anderem von GmbHs, die nur eine verkürzte Bilanz veröffentlichen müssen, einen Geschäftsbericht an oder holen Bankauskünfte ein.

Teilweise schauen sich die Mitarbeiter persönlich vor Ort um. „Auch weiche Faktoren fließen in die Risikobewertung ein“, sagt Christian Giesen, Sprecher der deutschen Tochter von Coface, der AK Coface. Diese Experten betrachten etwa die Managementstruktur oder den Bildungsstand der Mitarbeiter. Sie interessiert, ob Firmen in die Weiterbildung der Beschäftigten investieren.

Doch eine Firma kann noch so gut geführt sein und Produkte herstellen, die in der Vergangenheit erfolgreich vertrieben werden konnten – ist die ganze Branche angeschlagen, steigt das Risiko. Deshalb beobachten die Experten der Kreditversicherer auch die Branchenentwicklung. Sie werten zum Beispiel Presseveröffentlichungen und Verbandsmitteilungen aus. Zurzeit blicken die Spezialisten der Kreditversicherer mit Skepsis auf die Automobilindustrie und deren Zulieferer. „Für uns sind Informationen wichtig, die wir direkt aus dem Markt bekommen“, sagte Euler-Hermes-Sprecherin Enseleit. Die Fachleute haben deshalb gute Branchenkontakte und speisen die Datenbanken auch mit inoffiziellen Informationen und Einschätzungen.

Die Kunden der Kreditversicherer müssen für die Bewertung ihrer Abnehmer eine Gebühr zahlen, die auch fällig wird, wenn die Deckung nicht übernommen wird. Bei der AK Coface sind das rund 30 Euro für die Einschätzung eines Inlandkunden und 50 Euro für die Bewertung eines Abnehmers im Ausland. Bei Exporten kommt zu der eingehenden Betrachtung des Unternehmens und der Branche die Prüfung der politischen Lage des Landes, in das Waren geliefert werden sollen. Kreditversicherer decken auf Wunsch der Kunden bei Exporten nicht nur den möglichen Forderungsausfall auf Grund wirtschaftlicher Veränderungen ab, sondern auch auf Grund politischer Einwirkungen wie verhängter Handelsembargos. In der Regel können Unternehmen entscheiden, ob sie auch diesen Schutz wollen. In manchen Fällen bestehen Versicherer aber auf der Kombination. Wer zurzeit bei Atradius eine Lieferung nach Ägypten, Algerien oder Aserbaidschan versichern will, muss politische Risiken versichern.

Für manche Länder, darunter befindet sich im Moment Afghanistan, übernehmen Kreditversicherer wegen des hohen Risikos überhaupt keine Deckung. Hier springt der Staat mit speziellen Bürgschaften ein, die für ihn ein wichtiges Instrument zur Steuerung des Außenhandels sind. In Deutschland heißt dieses Instrument der staatlichen Deckung Hermes-Bürgschaft, weil der Versicherer Euler-Hermes dieses Geschäft für den Staat abwickelt. In den Niederlanden ist Atradius für die staatlichen Bürgschaften zuständig, in Frankreich Coface.

Zitat:

“ „Kernstück des Geschäfts ist die Bonitäts-prüfung“ “ – Sabine Enseleit, Sprecherin Euler Hermes –

Bild(er):

Beim Klettern schützt sich der Sportler mit einem speziellen Sicherungsgerät vor dem freien Fall. Das Seil läuft nur in eine Richtung. Verliert der Kletterer den Halt, wird das Seil im Gerät festgeklemmt und bremst so den Sturz ab – Edelried

Anja Krüger

Quelle: Financial Times Deutschland

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