Allianz-Chef Michael Diekmann baut den Konzernnach eigenen Vorstellungen radikal um. Dabei nimmter keine Rücksicht auf Traditionen und Arbeitsplätze. Die Mitarbeiter gehen gegen die Kürzungen auf die Straße
Von Herbert Fromme, Köln Er weiß, wovon er spricht. Wenn Michael Diekmann vor Branchenexperten tritt, kennt er die Antwort auf die hinterhältigsten Detailfragen. Er spricht präzise und prägnant, lässt jede Schönfärberei aus. Das macht Eindruck auf Investoren, die sich in London zu der Jahreskonferenz der Versicherungsbranche versammelt haben, um den Reformplänen des Allianz-Chefs zu lauschen. Seit diesem Auftritt im Oktober steigt der Kurs der Allianz-Aktie. Diekmann feiert seinen Kommunikationserfolg.
In Deutschland dagegen proben die Mitarbeiter den Aufstand. Mit Spruchbändern und Trommelschlag ziehen Hunderte Allianz-Angestellte seit Mitte September durch die Straßen von Hamburg bis Stuttgart. In Warnstreiks, „kreativen Mittagspausen“ und anderen Aktionen machen sie ihrem Unmut Luft. „Bei der Allianz zu arbeiten war früher besser als ein Beamtenjob“, sagt ein Demonstrant. „Heute können wir jederzeit auf der Straße landen.“
Obwohl der Konzern von teuren Consultingfirmen beraten wird und eine ganze Riege erfahrener PR-Experten beschäftigt, erlebt die Allianz in Deutschland ein Kommunikationsdesaster erster Klasse. Dem Chefarchitekten ist es nicht gelungen, den eigenen Mitarbeitern Vertrauen und Zuversicht für seine gigantischen Umbaupläne einzuhauchen.
Diekmann hat Großes vor. Er will sich in Deutschland von der traditionellen Struktur des 113 Jahre alten Konzerns verabschieden und die drei wichtigsten Konzernsparten – Leben-, Schaden- und Krankengeschäft – in einer Holding zusammenfassen. Dieser Schritt soll die Kosten senken und die Effektivität steigern – und dürfte Tausende von Arbeitsplätzen kosten.
Seit April 2003 führt Michael Diekmann den – gemessen in Prämieneinnahmen – größten Universalversicherer der Welt. Zwei Jahre lang hat er vor allem repariert, hat die Folgen der Kapitalmarktkrise in den Bilanzen der Lebensversicherer in Ordnung gebracht, verlustbringende Regionalgesellschaften saniert, die Kapitalstärke der Gruppe wieder auf ein akzeptables Niveau gebracht. Jetzt traut sich der Manager, sieben große Umbauprojekte parallel anzupacken. Selbst manche wohlwollende Kritiker glauben, dass er damit den Konzern überfordert. „Diekmann zaubert eine Großreform nach der anderen aus dem Hut, oft nach irgendwelchen Moden, die gerade bei den Beratern en vogue sind. Dann führt er aber nicht die Truppen, sondern setzt sich in einen Schiedsrichterstuhl und beurteilt das Ganze“, schimpft ein Allianz-Manager in der Konzernzentrale.
Diekmann packt dort an, wo die höchsten Gewinne im Konzern erwirtschaftet werden, bei der deutschen Schaden- und Unfallversicherung. Er hat erkannt, dass die Gewinnsituation ernste Probleme verdeckt: Die Kosten bei der Allianz sind zu hoch. Sie bedrohen die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Heimatmarkt, denn die Konkurrenz holt auf. In der Schadenversicherung verliert die Allianz Jahr für Jahr Marktanteile. Bisher hat der Konzern die Verluste dadurch kompensiert, dass er alle fünf bis zehn Jahre einen mittelgroßen Versicherer übernommen hat, zuletzt 1996 die Vereinte. Diese Methode hat aber keine Zukunft. Es gibt kaum noch Kaufobjekte.
Auch die Kunden ändern sich. Bis vor wenigen Jahren herrschte die Überzeugung vor, dass sich Versicherer in Preisen und Bedingungen kaum unterscheiden. Wer gut mit einem Vertreter klarkam, blieb bei ihm, oft jahrzehntelang. Heute sind Kunden sehr viel eher bereit zum Wechsel. Der gegenwärtige Preiskrieg in der Autoversicherung ist ein deutlicher Beleg. Die Allianz hat mit 24,7 Prozent eine höhere Kostenquote als ihre aggressivsten Angreifer, vor allem die HUK-Coburg, die bei 10,5 Prozent liegt. Den Nachteil konnte die Allianz bisher durch geschickte Risikoeinschätzung teilweise kompensieren. Doch auch dieser Vorteil schwindet. „Wir müssen so wettbewerbsfähig sein, dass auch der preissensitive Kunde sagt, ja, das ist für mich die richtige Versicherung“, fordert Diekmann.
Das größte Einsparpotenzial liegt in der Zusammenlegung der drei Versicherungssparten – Leben, Schaden und Kranken – in einer Holding. Bisher arbeiten sie nebeneinander, mit drei Callcentern, drei Personalabteilungen, drei Poststraßen. Wer als Kunde bei der Allianz Leben anruft, darf keine Antwort auf eine Frage zum Hausratvertrag erwarten. Viele parallel ablaufende Arbeitsvorgänge können zentralisiert werden. Das geht bis zur Antrags- und Schadenbearbeitung. „In den einzelnen Produktlinien gibt es sehr viele ähnliche Aufgaben“, sagt Diekmann. „Wir müssen aus der Monoline-Betrachtung raus.“
Mit der Neugliederung will Diekmann auch das Potenzial heben, das die Allianz mit ihren 17 Millionen Kunden hat. „Wir haben hier in Deutschland eine Vertragsdichte von rund zwei Verträgen pro Kunde“, beklagt er. In Spanien, Italien und Frankreich liege sie deutlich höher.
Bei dem Konzernumbau, dessen Sinn kaum noch in Frage gestellt wird, macht Diekmann aber grobe Fehler. Viele Mitarbeiter sind enttäuscht vom Konzernchef. „Er unterschätzt total die Implikationen der Reformen“, sagt ein Branchenkenner. Es geht vor allem um die Streichung von Arbeitsplätzen. Während in der Konzernspitze seit Monaten von 7000 bis 8000 Stellen über drei Jahre die Rede ist, drückt sich Diekmann um eine klare Ansage und sorgt damit für weitere Verunsicherung unter Mitarbeitern.
Auch bei der Auswahl des Spitzenpersonals hat der Allianz-Boss nicht immer eine glückliche Hand. Kaum jemand in seiner Mannschaft hat Erfahrung mit Großfusionen. Dass es ihm nicht gelang, Reiner Hagemann, den populären Chef der deutschen Sachsparte, zu halten, wirkt sich negativ aus. Hagemann verlässt den Konzern zum Jahresende im Streit, er ist mit dem Umbau in der gegenwärtigen Form nicht einverstanden.
„Da setzt Diekmann die größte Umwälzung in der Geschichte der Allianz in Gang, macht das aber mit mittelprächtigen Leuten“, schimpft ein Experte. Diekmanns Methoden sind ebenfalls umstritten. „Er ist schnell im Urteil und macht viel aus dem Bauch“, sagt ein Allianz-Manager. Vor drei Monaten kannte kaum jemand in der Allianz die Pläne für die deutschen Töchter. „Die Vorstände wurden einfach überrollt.“
Diekmann machte bei der Allianz eine großartige Karriere. Unter anderem leitete er die Geschäftsstelle in Hannover und stieg später zum Vertriebschef in Nordrhein-Westfalen auf. Seine Sporen verdiente er sich endgültig in Asien, wo er von 1996 bis 2001 die Allianz-Töchter managte. Die Integration der örtlichen Gesellschaften des französischen Konzerns AGF, seit 1997 Allianz-Konzernmitglied, gelang ihm gut. Nicht so gut lief es in Südkorea, wo die Schieflage des Lebensversicherers die Allianz mehr als 100 Mio. Euro kostete. Danach sanierte Diekmann in den USA die Tochter Fireman’s Fund. „Diekmann ist zweifellos von seiner Zeit in Asien und den USA geprägt“, sagt ein Kollege. „Er ist ein sehr amerikanischer CEO.“ Das alte deutsche Konsensprinzip in Vorständen zähle wenig. „Aber in der Ansprache ist er sehr klar.“
Die Risiken des Allianz-Umbaus sind beträchtlich. So könnte der Versuch, ein in Österreich und der Schweiz getestetes spartenübergreifendes IT-System in Deutschland einzuführen, schief gehen, befürchten Fachleute. Diekmanns Einschätzung, dass die Zukunft der Allianz vor allem in der Lebensversicherung liege, könnte sich ebenfalls als schwere Fehlkalkulation herausstellen. Die Trennung des Vertriebs von den Versicherern birgt das Risiko, dass die Loyalität der Vertreter schwindet.
Die Allianz hat in der Vergangenheit ihre Robustheit bewiesen. Sie wird auch die Diekmannschen Reformen überleben. Wird sie aber gestärkt oder geschwächt aus dem Umbau hervorgehen? Auf diese Antwort warten Angestellte wie Aktionäre mit gleichgroßem Interesse.
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Aus einem Guss:Alle Umbauten beider Allianz-Gruppe – dieMontage des Logos an der Allianz-Arena in München eingeschlossen – folgen dem Plan von Michael Diekmann
ww.ftd.de/allianz
Quelle: Financial Times Deutschland
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