Reform des Versicherungsgesetzes wirft Geschäftsmodell der Assekuranz um · Neue Regeln ab 2008
VON Herbert Fromme, Köln, und Birgit Jennen, Berlin Bundesjustizministerin Brigitte Zypries plant eine verbraucherfreundliche Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Sie nannte gestern Eckpunkte eines Gesetzes, das ab 2008 das fast 100 Jahre alte VVG ersetzen soll. Mit der Reform will die Ministerin auch der Kritik von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof an mangelnder Transparenz in der Lebensversicherung Rechnung tragen. Vor allem aber dürfte das Gesetz, sofern es in dieser Form verabschiedet wird, das gegenwärtige Geschäftsmodell der Assekuranz drastisch verändern.
Die Versicherungswirtschaft äußerte sich gestern offiziell sehr zurückhaltend. Marktführer Allianz wollte nicht Stellung nehmen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) begrüßte „den Fortgang der VVG-Reform“. Der GDV will am 1. März ein eigenes Transparenzmodell vorlegen. Einige der Zypries-Eckpunkte müsse man „kritisch begleiten“, so der GDV vorsichtig. Offenbar setzen die Versicherer auf Änderungen im Gesetzgebungsverfahren. Inoffiziell zeigten sich Assekuranzmanager entsetzt über den Plan.
Wird der Entwurf Gesetz, müssen die Lebensversicherer die Hälfte der beispielsweise durch steigende Aktienkurse entstehenden stillen Reserven den Kunden nach spätestens zwei Jahren gutschreiben – auch wenn sie noch nicht durch den Verkauf der Papiere realisiert wurden. Das verstärkt den Druck, Börsengewinne schnell mitzunehmen. Gleichzeitig will Zypries dafür sorgen, dass Kunden bei vorzeitiger Kündigung einen vorher genau definierten Rückkaufswert erhalten. Das Vorhaben stieß in der Vergangenheit bei den Versicherern immer auf scharfe Ablehnung.
Die neuen Regeln setzen auch den wichtigsten Absatzweg der Assekuranz über die firmeneigenen Versicherungsvertreter unter erheblichen Druck. Bisher berechnen die Versicherer ihren Kunden bei Abschluss einer Lebensversicherung sofort die vollen Vertriebskosten, in der Regel fünf bis sechs Prozent der insgesamt vom Kunden zu erbringenden Beiträge. Die ersten Prämien des Kunden fließen in die Deckung der Kosten, vor allem in die Vertreterprovision. Kündigt der Kunde früh seinen Vertrag, erhält er oft weniger, als er eingezahlt hat. Das hat der Bundesgerichtshof moniert, und Zypries will dies ändern. „Die Abschluss- und Vertriebskosten sollen sich über einen Zeitraum von fünf Jahren strecken“, sagte sie.
Wollen die Versicherer den Vertretervertrieb erhalten, müssen sie die sofort fällige Provision vorfinanzieren – ein erheblicher Aufwand. Das wird Überlegungen in den Gesellschaften verstärken, mehr in Direkt- und Internetvertriebe zu investieren. Außerdem müssen sie neue Entlohnungsmethoden für ihre Vermittler prüfen.
Verschärft wird das Problem dadurch, dass dem Zypries-Entwurf zufolge die Versicherer dem Kunden alle Abschluss- und Vertriebskosten offen legen müssen. „Das führt zu einem reinen Kostenwettbewerb. Die Kunden schauen nur noch auf die Vertriebskosten, nicht auf die Leistung“, monierte der branchennahe Jurist Theo Langheid, Mitglied einer von der Regierung eingesetzten Kommission zur Reform des VVG.
Die Wissenschaftler, Branchenvertreter und Verbraucherschützer hatten 2004 einen Bericht vorgelegt, der in den Gesetzentwurf einfloss. In Verbraucherschutzfragen ging Zypries aber deutlich über die Empfehlungen hinaus.
Zitat:
„Das führt zu einem reinen Kostenwettbewerb“ – Theo Langheid, Versicherungsexperte –
www.FTD.de/Versicherungen
www.FTD.de/Versicherungen
weitere Berichte 20
Leitartikel 29
Quelle: Financial Times Deutschland
Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.
Diskutieren Sie mit
Kommentare sind unseren Abonnenten vorbehalten. Bitte melden Sie sich an oder erwerben Sie hier ein Abo