Die Versicherungswirtschaft steht vor einer umfassenden Neuordnung ihrer gesetzlichen Grundlagen. Die Regierung führt ein neues Versicherungsvertragsrecht ein, die EU neue Grundsätze für die Vermittler und Vorschriften für das Eigenkapital der Versicherer. Die Folgen sind weitreichend
VON Herbert Fromme und Anja Krüger, Köln Rolf-Peter Hoenen ist ein erfahrener Versicherungsmanager. Kaum etwas kann den Chef der HUK-Coburg aus der Ruhe bringen. Aber wenn er über das geplante neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG) spricht, wird der sonst so gelassene Hoenen laut. „Die Existenz der Lebensversicherung wird in Frage gestellt“, schimpft er. Nicht nur da sei der Bestand des gegenwärtigen Geschäftsmodells gefährdet. „Ich habe die Sorge, dass praktische Vernunft auf dem Altar eines übertriebenen Verbraucherschutzes oder praxisferner Rechtsdogmatik geopfert wird.“
So wie Hoenen sieht das die Mehrzahl der Manager. Ausgerechnet die schwarz-rote Koalition, von der Assekuranz mit großen Hoffnungen auf weitreichende und geschäftsfördernde Reformen der Sozialsysteme begrüßt, hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der an den Grundfesten der Branche rüttelt.
Dabei hatte alles ganz friedlich begonnen. Die Reform des aus dem Jahr 1910 stammenden VVG steht seit Anfang der 90er Jahre auf der Tagesordnung verschiedener Regierungen. Das Justizministerium setzte 2000 eine Kommission aus Fachleuten ein, in der die Assekuranz, Verbraucherschutzorganisationen, Wissenschaftler und Juristen vertreten waren.
Das 2004 fertig gestellte Konzept der Kommission war offenbar gelungen – alle Seiten lobten es im Grundsatz und mäkelten an Einzelheiten herum. Der jetzt vom Justizministerium vorgelegte Gesetzentwurf beruht auf der Kommissionsarbeit. Aber in einem zentralen Punkt – der künftigen Gestaltung der Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung – geht er weit darüber hinaus und stellt so das Geschäftsmodell der Lebensversicherer in Frage. Damit trägt die Regierung Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs Rechnung, die 2005 mehr Transparenz bei der Beteiligung von Kunden an den stillen Reserven der Versicherer erzwangen.
Es sind vor allem diese Vorschriften, die Versicherer auf die Barrikaden treiben. In dieser Woche läuft die Frist ab, innerhalb derer sich die anderen Ministerien zum Gesetzentwurf äußern können. Das Finanzministerium hat signalisiert, dass es auf Nachbesserung drängt.
Aber selbst wenn die Regierung diesen Sprengsatz entfernt, bleibt ein Gesetz, das die Assekuranz in vielerlei Hinsicht umkrempelt. Dazu kommen andere Regeln, die ihren Ursprung in Brüssel haben. So setzt die Regierung gerade die EU-Richtlinie zur Versicherungsvermittlung in deutsches Recht um. Die Eigenkapitalregeln für Versicherer werden analog zu den Banken und ihrem Basel-II-Prozess unter dem Stichwort „Solvency II“ umgemodelt.
Abgeschafft wird im neuen VVG die bisherige Regelung zu den Vertriebskosten: Künftig dürfen die Versicherer ihren Kunden die Abschlusskosten nicht mehr gleich zu Beginn des Vertrags aufbrummen. Das ist bisher der Fall, bei einer Kündigung innerhalb der ersten zwei Jahre verlieren viele Kunden deshalb das gesamte gezahlte Geld. In Zukunft müssen diese Kosten, wie schon bei Riester-Renten, immer über fünf Jahre verteilt werden. Die Versicherer müssen neue Vergütungsstrukturen entwickeln. Ob ihr jetziges Vertriebssystem, das auf hauseigenen Vertreterorganisationen beruht, die Änderung überlebt, ist keineswegs ausgemacht.
Das bisherige Policenmodell, bei dem der Kunde alle Vertragsunterlagen erst nach der Unterschrift mit der Police erhält, will Justizministerin Brigitte Zypries abschaffen. Zahlreiche Änderungen in der Haftpflichtversicherung, bei der Höchstlaufzeit von Verträgen und beim Rücktrittsrecht der Versicherer verschieben die Balance in Richtung Verbraucherschutz.
Hinter dem Gesetzentwurf steckt tiefes Misstrauen der Politik gegenüber der Assekuranz. Das Schlagwort von der Re-Regulierung zwölf Jahre nach der De-Regulierung 1994 macht in der Branche die Runde. „Oft finden sich im Gesetzentwurf auch Vorschriften, die allein auf rechtsdogmatischen Vorstellungen einiger Professoren beruhen“, moniert HUK-Chef Hoenen.
Als Beispiel nennt er die Autoversicherung. Bisher geben Versicherer Kunden eine Deckungsbestätigung, früher war das die Doppelkarte. Wenn der Kunde nicht zahlt, entfällt die Deckung rückwirkend. Hat er einen Schaden, muss er bis 5000 Euro selbst haften, außerdem macht er sich wegen Fahrens ohne Versicherung strafbar.
Mit dem neuen VVG will Berlin diese Regelung abschaffen, die Deckung darf nicht mehr rückwirkend entfallen. „Wir geben unserem Kunden viele Millionen Mal Kredit durch die vorläufige Deckung“, sagt Hoenen. „Das geht nur, wenn er durch eine entsprechende Sanktion abgesichert ist.“ Er fürchtet, dass eine kleine Minderheit von Kunden abwartet, bis ein Versicherer die Prämienforderung gegen sie durchgeklagt hat – in der Zeit sind sie ja versichert. „Uns wird dazu gesagt, wir könnten Vorkasse nehmen“, sagt Hoenen. „Das ist nicht nur verbraucherfeindlich, sondern auch völlig unpraktikabel.“ Wenn der Versicherer erst auf den Zahlungseingang warten müsse, gebe es keine schnelle und unbürokratische Autozulassung mehr.
Bild(er):
Ähnlich unangenehm wie ein Verkehrsunfall für den Fahrer werden die neuen gesetzlichen Vorhaben für die Autoversicherer – Aura
Quelle: Financial Times Deutschland
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