Mangel an deutschen Kapitänen behindert Ausbau der heimischen Handelsflotte · Verband fordert Öffnung für EU-Ausländer
Deutsche Reeder nutzen wieder häufiger ausländische Flaggen für ihre Schiffe. In den vergangenen drei Jahren hatten sie, einem Versprechen an die Bundesregierung folgend, zahlreiche Frachter zurückgeholt. Der Trend ist jetzt gebrochen. „Uns fehlen die deutschen Kapitäne“, sagte Hans-Heinrich Nöll, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Reeder (VDR). Der Verband hofft auf eine gelockerte Schiffsbesetzungsverordnung, die auch Kapitänen aus EU-Staaten erlaubt, ein deutsches Schiff zu führen. Die Gewerkschaft Verdi droht für diesen Fall, das Maritime Bündnis zu kündigen, in dem Gewerkschaft, Reeder und Politik seit 2003 zusammenarbeiten.
Deutsche Reeder kontrollieren mit mehr als 2700 Schiffen die weltweit drittgrößte Handelsflotte. Doch nur ein Bruchteil der Schiffe fährt unter deutscher Flagge. Hauptgrund sind höhere Kosten.
Als Offiziere dürfen bereits heute Ausländer aus EU-Staaten unter deutscher Flagge fahren. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs muss auch die Position des Kapitäns für sie geöffnet werden. Das Verkehrsministerium bereitet deshalb eine Neufassung der Verordnung vor. Bisher werden darin „ausreichende Sprachkenntnisse“ gefordert. Diese sollen „unbürokratisch“ überprüft werden, sagte eine Sprecherin des Ministeriums: Wer einem vorgeschriebenen Seerechtslehrgang in deutscher Sprache nicht folgen könne, habe aber nach Ansicht des Ministeriums keine ausreichenden Kenntnisse.
Für die Reeder ist diese Neuregelung keine Erleichterung, weil so de facto nicht mehr Kapitäne zur Verfügung stehen. Außerdem sei die Verkehrssprache in der Seefahrt Englisch, und viele der betroffenen Schiffe würden nie einen deutschen Hafen anlaufen, heißt es beim Verband.
Für Ministerium und Verdi dagegen ist es selbstverständlich, dass auf Schiffen, die mit öffentlichen Geldern gefördert werden, heimatliches Personal fährt. „Wenn diese Beschränkung fällt, steigen wir aus dem Maritimen Bündnis aus“, drohte Dieter Benze von Verdi. Es gebe noch genügend deutsche Kapitäne, meinte Benze. Die führen zurzeit allerdings lieber auf Schiffen unter fremder Flagge, weil sie dann nicht in das deutsche Sozialsystem einzahlen müssen. „Denen muss man finanzielle Anreize für eine Rückkehr bieten.“
Ende April fuhren nach Angaben des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie 588 Handelsschiffe unter deutscher Flagge. Zum Jahreswechsel waren es noch 603. Erst im August hatten Reeder, Verkehrsministerium und Gewerkschaft in Hamburg die Rückflaggung des 100. Schiffes seit Mai 2003 gefeiert. Damals hatten sich auf der Maritimen Konferenz in Lübeck alle Seiten geeinigt, die heimische Flotte durch ein maritimes Bündnis zu stärken. Im Gegenzug für die Rückflaggung erhielten die Reeder Entlastung von Lohnnebenkosten und finanzielle Unterstützung bei der Ausbildung künftiger Offiziere.
Jahrelang wurde die Förderung des Nachwuchses durch Reeder und Regierung vernachlässigt. Ausbildungsplätze an Bord wurden abgeschafft, Seefahrtsschulen geschlossen. In Hamburg, der größten deutschen Hafenstadt, gibt es keine Ausbildungsstätte mehr.
Mit dem Versprechen der Rückflaggung und dem weltweiten Boom in der Schifffahrt hatte die Branche plötzlich einen erheblich gewachsenen Bedarf an deutschen Offizieren und Kapitänen. Im vergangenen Jahr wurden 169 neue Ausbildungsplätze an Bord von VDR und Ministerium mit 35 500 Euro pro Platz gefördert. In diesem Jahr rechnet der Verband bereits mit mehr als 200 neuen Ausbildungsverträgen.
Die Reederei NSB Niederelbe aus Buxtehude befürchtet, bald Schiffe ausflaggen zu müssen, weil sie kein Personal mehr findet. Mit derzeit 75 Schiffen unter deutscher Flagge gehört das Unternehmen traditionell zu denen, die die Mehrkosten nicht gescheut haben. „Wir bilden derzeit rund 80 Leute aus. Die sind aber erst in fünf bis sieben Jahren so weit, ein Schiff führen zu können“, sagte Falk von Seck von NSB. „Wir können uns deshalb auch eine befristete Öffnung der Kapitänsregelung vorstellen.“ Das Misstrauen der Gewerkschaft, hier auf Umwegen niedrigere Heuern einführen zu wollen, sei unberechtigt: „Wir zahlen auch den polnischen Kapitän nach deutschem Tarif.“
Bild(er):
Die Welt im Blick: Kapitäne an Bord deutscher Schiffe müssen bislang Deutsche sein – laif/Joerg Glaescher
Katrin Berkenkopf
Quelle: Financial Times Deutschland
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