Der Umbau des Versicherers Allianz geht weit über den Personalabbau hinaus. Der Konzernchef zwingt dem Unternehmen ein neues Geschäftsmodell auf – mit beträchtlichem Risiko Von Herbert Fromme
Auch die in Regiefragen nicht ganz unerfahrene Pressestelle der Allianz hätte es nicht besser einrichten können. Gestern Vormittag gab Allianz-Deutschlandchef Gerhard Rupprecht bekannt, dass die Gruppe bis 2008 die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze von 30 700 auf 25 000 reduzieren will, außerdem fallen 2480 Stellen bei der Tochter Dresdner Bank weg.
Am Nachmittag erklärte Henri de Castries, Chef des französischen Versicherers Axa, dass er eine Konsolidierungswelle im deutschen Versicherungsmarkt erwartet und sich daran aktiv als Käufer beteiligen wird. Die Axa hat vor einer Woche schon den Schweizer Winterthur-Konzern und damit auch die deutsche DBV Winterthur übernommen.
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die Luft für den Assekuranz-Marktführer Allianz in Deutschland dünner wird, de Castries lieferte ihn mit seiner Angriffsankündigung. Er ist dabei nicht allein. Der Hannoveraner Talanx-Konzern vollzieht gerade die Übernahme der Gerling-Gruppe in Köln. Damit erreicht Talanx im Geschäft mit Großkunden eine Marktpräsenz, die sich mit der des Platzhirschs messen kann.
Alarmierender Kundenverlust
Konzernchef Michael Diekmann kommt das nicht ungelegen. Die Verschärfung der Konkurrenzsituation unterstützt sein Argument, dass die Allianz in Deutschland rasch umbauen muss, wenn sie im Wettbewerb bestehen will. Die gestrige Ankündigung ist nur ein Teil einer Radikalkur – bei der Diekmann mit hohem Risiko spielt.
In den letzten vier Jahren habe der Konzern rund eine Million Kunden verloren, argumentierte Deutschlandchef Gerhard Rupprecht. Jetzt sind es noch 19 Millionen. Der Rückgang hat den Gewinnen der deutschen Allianz-Töchter zwar nicht geschadet, in der Lebens- und Sachsparte erreichten sie 2005 Rekordwerte. Aber als Alarmsignal taugt die Meldung vom Kundenverlust allemal.
Nur so können Diekmann und Rupprecht der Allianz eine Kulturrevolution aufzwingen und hoffen, dass sie trotzdem die Unterstützung der verbleibenden Mitarbeiter erhalten. Noch nie hat ein Chef den Versicherungsriesen so durcheinander gewirbelt wie Diekmann. Ein Personalabbauprogramm mit 5700 Mitarbeitern, die Streichung von elf Standorten – unvorstellbar bei einem Unternehmen, bei dem ein Anstellungsvertrag gleichbedeutend mit einer Lebensstellung war. Den Standort Köln mit 1100 Mitarbeitern platt zu machen, bis vor sechs Monaten Sitz des wichtigsten der mächtigen Allianz-Regionalchefs – ein Sakrileg. Die drei Versicherungssparten faktisch in eine Gesellschaft zu fusionieren – in den Augen vieler altgedienter Fachleute ein Unding.
Diekmann wagt all das trotzdem. Das Risiko ist beträchtlich. Denn ob sein Modell funktioniert, steht in den Sternen.
Er sieht Handlungsbedarf. Die Zeiten staatlich regulierter Preise endeten 1994, die der Riesengewinne aus Kapitalanlagen 2001. Die Strukturen vieler Versicherer, auch der Allianz, entsprechen aber noch diesen Zeiten. Gleichzeitig spüren sie den Sparwillen der Verbraucher. Millionen Autofahrer wechseln jedes Jahr ihren Autoversicherer auf der Suche nach einem günstigeren Angebot.
Darauf ist die Allianz besonders schlecht vorbereitet. Ihr Hauptvertriebsweg sind die Vertreter. Auf dem Land und in kleineren Städten funktioniert das gut. In den Großstädten bekommt sie damit kein Bein auf die Erde – deshalb der Versuch, über den Zukauf der Dresdner Bank und durch die Öffnung von Internet-Verkaufskanälen Vertriebskraft dazuzugewinnen. Hinzu kommen die politischen Rahmenbedingungen. Steuervorteile für Lebensversicherungen wurden gekürzt, die Gesundheitsreform bedroht die privaten Krankenversicherer. Die Regierung reformiert die Versicherungsgesetze.
Die Antwort heißt Zentralisierung
Auf diese Herausforderungen reagiert Diekmann mit Zentralisierung. Die Verwaltung der drei Sparten Sach, Leben und Kranken wird zusammengelegt. Die Allianz-Manager zitieren das Beispiel, dass ein Allianz-Kunde mit Verträgen bei Sach, Leben und Kranken eine Adressänderung dreimal mitteilen müsse. Das stimmt – aber nur, wenn man die Vertreter außen vor lässt, die genau diese Bündelungsfunktion bisher wahrnehmen.
Die Reform läuft auf eine Entmachtung der Vertreter, die Zentralisierung der Verwaltung und die Auffächerung der Vertriebskanäle hinaus. Ob sie funktioniert, wird davon abhängen, ob die Vertreter trotzdem fleißig verkaufen, ob die Zusammenlegung der IT-Systeme ohne Katastrophe über die Bühne geht und ob die Konzernführung das Vertrauen der Mitarbeiter wieder gewinnen kann.
Das ist schwer erschüttert – dank der ungeschickten Kommunikations- und Personalpolitik. Wer im September 2005 einen Generalumbau ankündigt, drei Monate später das Sparpotenzial mit 600 Mio. Euro im Jahr beziffert, aber erst jetzt den Umfang des geplanten Stellenabbaus bekannt gibt, bekommt Probleme mit der Glaubwürdigkeit. Schwierigkeiten könnten auch Anleger und Analysten bereiten, wenn der Konzern in der neuen Struktur nicht mindestens die Gewinne der alten liefert. Das ist aber keineswegs garantiert. Risikoscheu ist Diekmann nicht.
E-Mail fromme.herbert@ftd.de
Quelle: Financial Times Deutschland
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