Leer ist Deutschlands zweitgrößter Reedereistandort, doch kaum jemand weiß davon
Radeln auf dem Deich oder eine Bootsfahrt auf Ems und Leda – wer an die Stadt Leer denkt, wird sie kaum mit der großen Schifffahrt in Verbindung bringen. Dabei liegt in Süd-Ostfriesland der zweitgrößte deutsche Reedereistandort. 16 Reedereien haben hier ihren Hauptsitz, dazu kommen Niederlassungen größerer Unternehmen, hat die NordLB im Auftrag des Landkreises Leer ermittelt.
Rund 400 Schiffe werden von Leer aus bereedert. Containerriesen, wie sie etwa die Hamburger Reeder betreiben, gehören nicht dazu.
„Im Geschäftsleben kann es auch von Vorteil sein, wenn man unterschätzt wird“, sagt Dietrich Schulz, Geschäftsführer von Hartmann Schiffahrt. Das Unternehmen kümmert sich von Leer aus unter anderem um die Containerschiffe der Hartmann-Gruppe. Sie wurde in Emden gegründet, zog später aber nach Leer um. Hier hatte der Firmengründer Alfred Hartmann die Seefahrtschule besucht – wie viele der späteren Reeder.
Hartmann kontrolliert rund 120 Schiffe und hat Standorte in Deutschland und im Ausland. Im vergangenen Jahr war die Gruppe der größte Einzelkunde bei deutschen Werften. Im April erhielt die Reederei das jüngste von neun Schiffen, die in den Aker-Werften in Wismar und Warnemünde gebaut wurden. Auch bei den Nordseewerken in Emden sind Schiffe für Hartmann in Auftrag.
Keine der heute aktiven Leeraner Reedereien wurde vor 1984 gegründet. Die nautische Ausbildung vor Ort habe damals ebenso wie die Unterstützung der Kommunalpolitik günstige Rahmenbedingungen für die Ansiedlung von Reedereien geschaffen, so die NordLB.
Das Unternehmen BBC Chartering & Logistic verlegte seinen Sitz 1999 nach der Übernahme durch den Leeraner Reeder Roelf Briese von Bremen nach Leer. „Für unser Geschäft ist aber die weltweite Präsenz wichtig“, erläutert Ove Meyer von BBC. Deshalb ist die Firma an 17 Standorten rund um den Globus vertreten. Sie betreibt 120 Schiffe, weitere 30 kommen in den nächsten Jahren hinzu. BBC verschifft vor allem Projektladung. Das sind Güter, die nicht in Containern oder herkömmlichen Massengutfrachtern transportiert werden können, zum Beispiel Windkraftanlagen.
Unternehmen wie BBC wissen, was sie an der Seefahrtschule vor Ort haben. Es war nicht zuletzt ihrem Einsatz zu verdanken, dass eine Schließung des Instituts im vergangenen Jahr abgewendet wurde und die Ausbildung künftig sogar von mehr Professoren betreut werden soll. „Leider reichen die Kapazitäten nicht“, sagt Meyer. Der Mangel an Offiziers- und Kapitänsnachwuchs sei „ein riesengroßes Problem“. Manchmal, gibt Meyer zu, sei es für die kleine Stadt wohl auch etwas schwieriger als für die Konkurrenz in Hamburg, Mitarbeiter zu begeistern.
Um sich langfristig gegen die internationale Konkurrenz zu behaupten, müssen sich die Leeraner Reeder weiter spezialisieren und kooperieren, verlangt die NordLB. „Vor dem Hintergrund der teilweise geringen Größe der Reedereien in Leer im internationalen Maßstab stellt sich die Frage, ob intelligente Kooperationen verschiedener Spezialisten zu einem breiten und qualitativ guten Leistungsspektrum beitragen können.“ Eine große Chance sei der Bau des Jade-Weser-Ports in Wilhelmshaven.
Zitat:
„Manchmal ist es von Vorteil, unterschätzt zu werden“ – Dietrich Schulz,Reeder –
Katrin Berkenkopf
Quelle: Financial Times Deutschland
Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.
Diskutieren Sie mit
Kommentare sind unseren Abonnenten vorbehalten. Bitte melden Sie sich an oder erwerben Sie hier ein Abo