Regeln zur Lebensversicherung könnten zu hohen Rückstellungen zwingen · Protestkampagne geplant
Von Herbert Fromme, Köln Die Versicherungswirtschaft plant eine intensive Lobbykampagne, um in letzter Minute das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG) im parlamentarischen Prozess noch zu verändern. Laut Gesetzentwurf soll die Kernvorschrift zum Rückkaufswert von Lebensversicherungen auch für alle bestehenden Altverträge gelten, die seit 1995 abgeschlossen wurden. Das würde die Unternehmen zur Bildung hoher Rückstellungen zwingen.
Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf für das neue VVG am 11. Oktober verabschiedet, der Bundestag soll noch 2006 darüber entscheiden. Das Gesetz wird dann am 1. Januar 2008 in Kraft treten.
„Wir versuchen, den Politikern das Problem klarzumachen“, sagte ein Sprecher des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Die Branche hoffe, dass die Vorschrift noch verändert werde. „Sonst müssten die Gesellschaften Millionen von Verträgen anfassen“, sagte er. Die möglichen Rückstellungen für Ansprüche der Kunden, die bisher nicht bestanden, könne man noch nicht beziffern. Zur Zeit sind in Deutschland 97 Millionen Lebensversicherungsverträge in Kraft, davon sind mehr als 60 Millionen Kapitallebensversicherungen. Auch Marktführer Allianz Lebensversicherung lehnt die Vorschrift ab. „Wir halten das rechtlich für problematisch, weil es rückwirkend in Bestände eingreift“, sagte ein Sprecher. „Das ist eine Umverteilung zulasten der Kunden, die nicht kündigen.“ Zwar gelte das Gesetz für alle Verträge seit 1995, materiell betroffen seien aber nur die Verträge, die in den Jahren 2003 bis 2007 abgeschlossen wurden, so der Allianz-Sprecher weiter. Bei Riester-Verträgen gebe es keine Probleme, dort existierten entsprechende Regeln schon. Der Sprecher sagte nicht, wie viele Verträge betroffen sind, es dürften marktweit deutlich mehr als 20 Millionen sein.
In Artikel vier des Einführungsgesetzes zum VVG heißt es, dass auch die Vorschriften des Paragrafen 169 auf Altverträge anzuwenden sind. Er regelt die sogenannten Rückkaufswerte – die Beträge, die Kunden bei vorzeitiger Kündigung ihrer Lebensversicherungspolicen erhalten.
Die Versicherer ziehen von dem eingezahlten Geld die Kosten für den Vertrieb ab, vor allem Provisionen. Bisher zahlt der Kunde diese Kosten mit seinen ersten Beiträgen. Kündigt er in den ersten Jahren, liegt die ausgezahlte Summe – der Rückkaufswert – oft noch unter den insgesamt eingezahlten Beiträgen.
Diese Praxis hatten Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht als unangemessene Benachteiligung der Kunden moniert. Nach dem neuen Paragrafen 169 dürfen die Versicherer die Abschlusskosten nicht gleich zu Beginn der Vertragslaufzeit vollständig dem Kunden in Rechnung stellen, sondern müssen sie über mindestens fünf Jahre verteilen. Diese Regelung gilt bereits für Riester-Verträge. Wenn ein Kunde nach Inkrafttreten des Gesetzes 2008 einen Altvertrag kündigt, muss der Rückkaufswert nach den neuen Vorschriften berechnet werden – während der Versicherer die Vertragsgrundlagen nach der alten Rechtslage entwickelt und schon Provisionen an Vertreter oder Makler gezahlt hat. Damit liegt der Rückkaufswert ab 2008 deutlich über dem vertraglich vorgesehenen Wert. Dafür müssen die Versicherer Rückstellungen bilden.
„Wir glauben, dass die rückwirkende Einführung dem geltenden Versicherungsaufsichtsrecht widerspricht“, sagte der GDV-Sprecher. Es gelte der Grundsatz, dass in den ersten fünf Jahren der Laufzeit eines Versicherungsvertrages die gezahlte Gesamtprovision plus des Rückkaufswerts nicht höher als die gezahlten Beiträge sein dürfen.
Diese Vorschrift hatte das damalige Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen am 16. Dezember 1993 erlassen und damit auf einen Skandal um sehr hohe Provisionszahlungen an Vermittler reagiert. „Mit dem neuen Gesetz könnte es passieren, dass die bereits gezahlten Provisionen und die nach dem neuen VVG erhöhten Rückkaufswerte die Beiträge überschreiten“, sagte der GDV-Sprecher.
Zitat:
„Wir versuchen, den Politikern das Problem klarzumachen“ – GDV-Sprecher –
Bild(er):
Aktenchaos: Die Gesellschaften müssten Millionen Versicherungsverträge nachbessern, falls das Gesetz zum Rückkaufswert auch für alle Altverträge gelten sollte – imago/Birgit Koch
Quelle: Financial Times Deutschland
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