Orkan „Kyrill“ legt Deutschland lahm

Todesopfer im Süden · Bahn stellt bundesweit Zugverkehr ein · Versicherer fürchten Milliardenschäden

Von Nikolai Fichtner, Berlin, Herbert Fromme und Patrick Hagen, Köln, und Matthias Ruch, Düsseldorf Der Orkan „Kyrill“ hat am Donnerstag und in der Nacht zu Freitag in Deutschland ein Chaos angerichtet. Das Sturmtief erreichte Spitzengeschwindigkeiten von über 190 Stundenkilometern. In Baden-Württemberg kam ein Autofahrer ums Leben, der gegen einen umgestürzten Baum fuhr. In München wurde ein 18 Monate altes Kind von einer Terrassentür erschlagen, die durch den starken Wind aus der Verankerung gerissen wurde. In Schwaben starb ein 73 Jahre alter Mann, der von einem Scheunentor erschlagen wurde.

Die Deutsche Bahn stellte am Donnerstagabend in ganz Deutschland den Zugverkehr ein. Alle Züge mussten im jeweils nächsten Bahnhof halten. Technisches Hilfswerk und Rotes Kreuz wurden angefordert, zudem den gestrandeten Passagieren an den Bahnhöfen zu helfen. Wie viele Menschen betroffen waren, war am Donnerstagabend unklar. Normalerweise fahren mit der Bahn täglich rund 4,5 Millionen Reisende. Solch einen Ausnahmezustand habe es in der Geschichte der deutschen Bahn noch nie gegeben, sagte Bahnchef Hartmut Mehdorn am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung in Berlin.

Auf den Autobahnen kam es zu kilometerlangen Staus. Erschwert wurden die Aufräumarbeiten der Feuerwehr durch teils heftigen Dauerregen von mehr als 50 Liter pro Quadratmeter. Flüsse traten über die Ufer, Straßen wurden überflutet, Keller liefen voll.

Auch den europäischen Flugverkehr wirbelte „Kyrill“ durcheinander. Die Deutsche Flugsicherung berichtete von massiven Verspätungen und Flugausfällen. Am stärksten betroffen war der Frankfurter Flughafen. Dort wurde seit den frühen Morgenstunden die Zahl der Starts und Landungen auf die Hälfte reduziert. Wegen der starken Winde musste der Abstand zwischen den Landungen vergrößert werden. Auch an zahlreichen anderen deutschen Flughäfen mussten Flüge gestrichen werden. Die Deutsche Flugsicherung rechnete mit einer Normalisierung der Lage am Freitag.

Der Deutsche Wetterdienst DWD gab gestern für das gesamte Bundesgebiet eine Unwetterwarnung aus. Für die Nordseeküste, die Mittelgebirge und weite Teile der Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Thüringen und Sachsen warnte der DWD sogar vor „extremem Unwetter“, dies ist die höchste Warnstufe. Das letzte Mal, dass ein Sturm das gesamte Bundesgebiet flächendeckend betraf, war der Orkan „Jeanette“ 2002, der Gesamtschäden in Höhe von rund 3 Mrd. Euro verursachte. Meteorologen gehen davon aus, dass „Kyrill“ zu den fünf stärksten Stürmen der vergangenen zwanzig Jahre gehört. „Wir befinden uns in einer Größenordnung der Stürme ,Lothar‘ und ,Anatol‘ „, sagte ein DWD-Sprecher.

Das Sturmtief wird der Versicherungswirtschaft wahrscheinlich Milliardenschäden verursachen. „Anatol“ tobte im Dezember 1999 über Nordeuropa und kostete allein die Versicherer nach Angaben des weltgrößten Rückversicherers Swiss Re 2,2 Mrd. $. „Lothar“ erreichte im Dezember 1999 Großbritannien und Westeuropa und kostete die Assekuranz 6,8 Mrd. $.

Die Versicherungsunternehmen wollten sich noch nicht zu dem möglichen Ausmaß der Sturmschäden äußern. „Es ist viel zu früh, über Schadenhöhen zu spekulieren“, sagte ein Sprecher der Münchener Rück. Die frühzeitigen Warnungen vor dem Sturm könnten die Schadenhöhe jedoch deutlich minimieren, sagte ein Allianz-Sprecher.

Entscheidend für die Schadenhöhe ist auch, ob die Gesellschaften Schäden bald aufnehmen und regulieren, oder lange abwarten. Dann werden die Schäden erfahrungsgemäß teurer. „Wir haben alles dafür vorbereitet, dass morgen die Schäden schnell aufgenommen werden können“, sagte eine Sprecherin der Provinzial in Kiel. Bevor das Orkantief Deutschland erreichte, hatte er bereits in Großbritannien, Frankreich, Belgien und den Niederlanden mindestens acht Menschenleben gekostet und schwere Sachschäden verursacht.

www.ftd.de/debatte/70

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Quelle: Financial Times Deutschland

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