Mit günstigen Kfz-Policen mischen Autohersteller den Assekuranzmarkt auf. Die Versicherer fürchten, dass künftig VW & Co. die Regeln bestimmen. Ihnen bleiben nur zwei Auswege: Die Konfrontation zu wagen – oder sich mit dem Angreifer zu verbünden
Von Herbert Fromme, Patrick Hagen und Christina Palmberger, Köln Der Verkäufer beim Kölner VW-Händler Fleischhauer gibt sich allergrößte Mühe, der Kundin den dunkelblauen Golf schmackhaft zu machen. „Die Versicherung gehört zu unserem Komplettangebot“, wirbt er. In der monatlichen Rate von 305,08 Euroist neben der Finanzierung auch die Prämie für eine Haftpflicht- und Vollkasko-Police (Tarif „Prämie light“) enthalten.
Beim wenige Kilometer entfernten Mercedes-Benz-Händler steht die Versicherung auf der Liste der Zusatzleistungen ebenfalls ganz oben. Vor wenigen Monaten veranstaltete das Autohaus sogar „Sorglos-Wochen“, in denen der Käufer einer A-Klasse die Versicherung bei der HDI Hannover als Teil des Finanzierungs- oder Leasingpakets ein Jahr lang kostenlos erhielt. „Mit dem Angebot lagen wir richtig“, sagt Reinhard Loose, Vorstandsmitglied der DaimlerChrysler Bank. „Jeder dritte A-Klasse-Käufer entschied sich für die Paketlösung.“
Die Autobauer drängen mit Macht ins Kfz-Versicherungsgeschäft. Mehr als zwei Millionen Fahrzeuge dürften in Deutschland bereits über den Hersteller versichert sein. Zwar wären das nur rund vier Prozent aller Autos, die hierzulande versichert sind, doch der Marktanteil der Konzerne wächst rasant. Für die Assekuranz bedeutet das eine gewaltige Umwälzung. Wer sich mit den Herstellern verbündet, erschließt sich einen möglicherweise überlebenswichtigen Vertriebsweg. Die restlichen Versicherer müssen befürchten, dass ihnen Kunden scharenweise davonlaufen.
Vorreiter bei dem neuen Geschäftsmodell ist VW. Jeden dritten Neuwagen verkauften die Wolfsburger vergangenes Jahr zusammen mit einer Versicherungspolice. Ein Jahr zuvor war es erst jeder fünfte.
Das Assekuranzangebot ist für VW ein wirkungsvolles Marketinginstrument. Mit einem günstigen Paket, das neben Inspektionen Finanzierung und Versicherung beinhaltet, lassen sich Kunden werben, ohne dass die Hersteller die ohnehin knappen Margen beim Verkaufspreis des Fahrzeugs weiter drücken.
Vor allem will der Autobauer jedoch Kunden in die eigenen Werkstätten locken. „Es geht auch um die Unterstützung unserer Händler“, sagt Karsten Crede, Chef für Versicherungen bei Volkswagen Financial Services. Ein Kunde, der bei VW seine Versicherung abschließe, kommt in der Regel auch als Werkstattkunde in den Betrieb.
Dass das Versicherungsgeschäft überdies höchst lukrativ ist, kommt den Autoherstellern zupass. „Natürlich wollen wir damit Geld verdienen“, sagt Crede. Finanzdienstleistungen – neben dem Finanzierungs- und Leasinggeschäft also auch Versicherungen – tragen bereits mehr als 30 Prozent zum VW-Ergebnis bei.
Die Zeiten, in denen die Autokonzerne mit der Herstellung von Autos ihr Auskommen gesichert haben, sind längst vorbei. „Im Neuwagengeschäft wird kein Geld verdient“, sagt August Joas, Automobilexperte bei der Unternehmensberatung Mercer Management Consulting. In einer Studie hat er herausgefunden, dass die Autohersteller 2004 mit dem Verkauf von Neuwagen gerade einmal fünf Prozent ihres Gewinns erwirtschaftet haben, ein Prozent stammte aus dem Handel mit Gebrauchtwagen. Mit Finanzdienstleistungen hingegen machten die Hersteller 36 Prozent des Gewinns, mit Teilen und Zubehör sowie Reparaturen sogar 58 Prozent, so Joas.
Gerade das lukrative Werkstattgeschäft wird den Herstellern jedoch zunehmend streitig gemacht – und zwar ausgerechnet von Versicherern. Mächtige Billiganbieter wie die HUK-Coburg, bei der 7,7 Millionen Autos versichert sind, bauen seit einiger Zeit eigene Netze von preisgünstigen Werkstätten auf. Wer sich als Kunde verpflichtet, im Kasko-Schadenfall sein Auto bei der HUK-Vertragswerkstatt reparieren zu lassen, zahlt deutlich weniger als Versicherungsnehmer, die sich ihre Werkstatt selbst aussuchen. „Ein Drittel aller Neukunden in der Kaskoversicherung wählen diese Alternative“, berichtet ein HUK-Sprecher.
Die Autohersteller steuern nun kräftig gegen. „Wir wollen, dass unsere Kunden nicht so stark freie Werkstätten frequentieren“, erklärt ein BMW-Sprecher. Der Konzern lockt Fahrer der weiß-blauen Marke nun seinerseits mit Spezialangeboten in die eigenen Werkstätten: So muss ein Kunde mit BMW-Versicherungspolice bei der Reparatur seines Autos in einer Händlerwerkstatt – ähnlich wie bei Ford oder Mazda – nur die Hälfte der vereinbarten Selbstbeteiligung zahlen. Rund 20 Prozent der Kunden, die ihr Auto in einer BMW-Niederlassung kaufen, versichern sich auch dort. Inzwischen haben mehr als 10 000 Autos eine konzerneigene Deckung.
Opel geht sogar noch weiter und zahlt Kunden im Rahmen eines „Starthilfe“-Pakets für die ersten zwei Jahre komplett die Versicherung. Seit Jahresanfang habe jeder dritte Neuwagenkäufer zugegriffen, heißt es in Rüsselsheim.
Anders als bei Finanzierung und Leasing verzichten die Autobauer bei Versicherungen jedoch darauf, den Markt mit eigenen Gesellschaften aufzurollen. „Das wäre ein Riesenschritt, den ich nicht für sinnvoll halte“, sagt VW-Manager Crede. Volkswagen kooperiert mit der Allianz, BMW mit der Victoria-Versicherung. Ford und Mazda arbeiten mit der Nürnberger Versicherung zusammen, DaimlerChrysler unter anderem mit HDI.
Dabei geht es den Autoherstellern um weit mehr als nur die reine Vermittlung von Policen, wie sie jahrzehntelang als Nebengeschäft betrieben wurde. So ist Volkswagen mit einem eigens für diesen Zweck gegründeten Rückversicherer am Gewinn aus den Allianz-Policen beteiligt und kann bei der Gestaltung der Verträge mitreden. Bei einem Schaden korrespondiert der Kunde ausschließlich mit VW, nicht mit der Allianz. Alle Kernfunktionen eines Versicherers nimmt der Hersteller wahr, ohne selbst Versicherer zu sein.
Für die Allianz sind die Autokonzerne mittlerweile zu einem wichtigen Vertriebskanal aufgestiegen. Von knapp neun Millionen Fahrzeugen, die der Marktführer in Deutschland versichert, stammen 1,3 Millionen aus Herstellerkooperationen. Anbieter wie die Nürnberger versuchen sogar, die Autohändler für den Vertrieb weiterer Versicherungen zu nutzen: So offerieren Ford-Händler längst nicht mehr nur die Kfz-Police ihres Versicherungspartners. In 100 Autohäusern sitzt ein Mitarbeiter der Nürnberger und bietet die komplette Produktpalette an. Weitere 400 Nürnberger-Vertreter besuchen an festen Tagen Autohäuser, um dort Kunden in Sachen Hausrat, Rechtsschutz oder Altersvorsorge zu beraten.
Das Nachsehen haben all die Versicherer, die weder über ein Netz an Partnerwerkstätten verfügen noch mit einem Autohersteller kooperieren. Mit 21 Mrd. Euro ist die Kfz-Sparte neben der Lebens- und Krankenversicherung das größte Marktsegment. Unter dem Druck von VW, Ford, Opel oder BMW gerät das traditionelle Geschäftsmodell der Assekuranz unter die Räder: Jeder Autobesitzer muss eine Versicherung abschließen, die Kfz-Police dient als Einstiegsvertrag für weitere Versicherungen. Auf Hausrat- oder Gebäudeversicherungen lässt sich viel schwerer eine langjährige Geschäftsbeziehung gründen. Überdies ist die Kfz-Versicherung, trotz aller Klagen der Branche, meist hochprofitabel.
Die jüngste Entwicklung könnte zu einer dramatischen Verschiebung der Marktanteile führen: Allein VW bringt mit einer Million versicherten Fahrzeugen bereits so viel Gewicht auf die Waage wie ein mittelgroßes Assekuranzunternehmen. Viele in der Versicherungsbranche fürchten, dass es ihnen ergeht wie den Banken und Sparkassen, die erhebliche Einbußen erlitten haben, nachdem die Hersteller mit ihren Autobanken groß ins Geschäft mit Neuwagenfinanzierungen eingestiegen waren.
Versicherer, die mit Autobauern verbandelt sind, verkaufen ihre Kooperationen gerne als genialen Marketingcoup. In der Branche ist jedoch umstritten, ob sie mit diesem Teil ihres Geschäfts tatsächlich noch viel Geld verdienen. Der Chef eines Versicherungsunternehmens, das sich aus einer solchen Kooperation zurückgezogen hat, ist skeptisch: „Man kann die Risiken kaum auswählen, weil der Händler ja Policen an alle Autokunden verkauft.“ Der Verkauf von Folgeversicherungen an Autokäufern sei überdies mühsam, und der Vertrieb über die Autohäuser stehe in scharfer Konkurrenz zu den eigenen Vertretern. Sein Verdacht: „Die Allianz macht das, um ihr Volumen hoch zu halten.“ Von knapp neun Millionen Fahrzeugen, die bei der Allianz versichert sind, stammen immerhin 1,3 Millionen aus Kooperationsverträgen mit Herstellern. Ohne die läge die Allianz auf Augenhöhe mit dem Branchenzweiten, HUK-Coburg.
In München verwehrt man sich gegen solche Anwürfe. „Wir sind mit dem Verlauf unserer Kooperationen sehr zufrieden und engagieren uns intensiv, sie noch weiter auszubauen“, sagt Allianz-Vorstand Karl-Walter Gutberlet. Man dürfe das Geschäft nicht kurzfristig betrachten. „Unsere Partner erwarten von uns schließlich auch in schwierigeren Zeiten Verlässlichkeit.“
Dass die eigenen Vertreter oft alles andere als begeistert sind, wenn sie sehen, dass die gleiche Versicherung, die sie verkaufen, beim Autohändler um einiges billiger zu haben ist, räumen manche Versicherer indes ein. „Das gibt leicht Konflikte“, sagt Armin Zitzmann, Chef der Nürnberger Versicherung. Da es sich aber um kurzfristige Aktionen handle, sei dies jedoch nur „eine temporäre Bedrohung“.
Der VW-Verkäufer im Kölner Autohaus Fleischhauer kennt solche Konflikte nicht. „Selbst wenn wir mal nicht günstiger sind als die Allianz, können wir auf jeden Fall mit unserem Preis auf das Niveau der Allianz runtergehen“, umgarnt er die Golf-Interessentin. Der Sieger bleibt immer VW.
Bild(er):
Zwei Namen vom Grill (FTD-Montage): Mit Kfz-Policen, die sie gemeinsam mit der Allianz anbieten, versuchen VW-Händler mehr Kunden in die eigenen Werkstätten zu lotsen
www.ftd.de/AUTO
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Kfz-Hersteller als Finanzdienstleister
Quelle: Financial Times Deutschland
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