Die jüngsten Gesetzesänderungen zwingen die privaten Krankenversicherer dazu, ihr Geschäftsmodell neu zu gestalten. Dabei müssen die Versicherungsmathematiker Gewohntes über Bord werfen dsfgsd fs
VON Ilse Schlingensiepen Für die Aktuare bei privaten Krankenversicherern (PKV) ist die jüngste Gesundheitsreform eine Zumutung. „Das Gesetz zwingt uns dazu – gegen die Grundsätze der Versicherungsmathematik -, das Versicherungsaufsichtsgesetz und die Kalkulationsverordnung zu verstoßen“, kritisiert Roland Weber, Vorstand und verantwortlicher Aktuar der Debeka Krankenversicherung, des PKV-Marktführers. „Streng genommen dürften wir uns darauf gar nicht einlassen.“
Die Aktuare sind nach Paragraf 12 des Versicherungsaufsichtsgesetzes verpflichtet, die Prämien für die Vollversicherung versicherungsmathematisch „unter Zugrundelegung von Wahrscheinlichkeitsdaten und anderen einschlägigen statistischen Daten, insbesondere unter Berücksichtigung der maßgeblichen Annahmen zur Invaliditäts- und Krankheitsgefahr, zur Sterblichkeit, zur Alters- und Geschlechtsabhängigkeit des Risikos“ zu berechnen.
Genau das ist ihnen bei einem zentralen Punkt der Reform, dem brancheneinheitlichen Basistarif, untersagt. Ihn müssen ab dem 1. Januar 2009 alle rund 50 PKV-Unternehmen anbieten. Der Leistungsumfang soll dem der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entsprechen, die Prämien dürfen den durchschnittlichen GKV-Höchstsatz nicht überschreiten. Außerdem ist es den Versicherern verboten, Risikozuschläge für bestimmte Erkrankungen zu verlangen. All das widerspricht dem Geschäftsmodell der Branche und eben den Kalkulationsvorschriften.
Für den Basistarif müssen die Versicherungsmathematiker eine einheitliche Nettoprämie kalkulieren, unterscheiden können sich die Unternehmen nur durch einen individuellen Kostenzuschlag. Bei der Berechnung der Prämie stehen die Spezialisten vor einer großen Unbekannten: Sie müssen abschätzen, wie viele Versicherte das neue Angebot wählen und vor allem welche. Experten vermuten, dass dies in erster Linie die sogenannten schlechten Risiken tun, also Versicherte mit Vorerkrankungen, die in Normaltarifen hohe Zuschläge zahlen müssen. Außerdem entrichten Versicherte in Härtefällen nur den halben Beitrag.
„Wir dürfen keine ausreichenden Prämien verlangen“, beschreibt Weber das Dilemma. Die Versicherer können die Prämien im Basistarif zwar weiterhin nach dem Eintrittsalter der Kunden staffeln. Nach bisherigen Schätzungen wird der GKV-Höchstsatz aber relativ schnell erreicht werden. Die unterschiedliche Risikostruktur der einzelnen Unternehmen gleicht ein gemeinsamer Branchenpool aus. Ist der GKV-Höchstbeitrag erreicht, wird die Differenz zur eigentlich erforderlichen Prämie – die die Versicherungsmathematiker natürlich kalkulieren müssen – branchenweit auf die Kunden in den Normaltarifen umgelegt. Dafür ist ein zweiter Pool notwendig. Auch die Pools müssen die Versicherungsmathematiker ausgestalten.
„Mit dem Basistarif hat uns die Politik beauftragt, ein Auto zu bauen, das vier Räder haben soll. Alles andere müssen wir selbst modellieren“, charakterisiert Hans-Josef Pick, Vorstand beim Branchenzweiten DKV, die Situation. Klären müsse man auch, ob die Summen, die über der Kappungsgrenze liegen, auf alle Versicherten gleich umgelegt werden oder ob man dabei nach Gruppen wie Beamten, Angestellten und Selbstständigen differenziert, sagt Pick.
Erschwert wird die Kalkulation des Basistarifs auch durch die Orientierung an den GKV-Leistungen. „Dieser Leistungsumfang ist im Moment nur sehr schwer abzuschätzen“, sagt Helga Riedel, Leiterin der Abteilung Mathematik beim PKV-Verband.
Parallel müssen sich die Mathematiker mit einer weiteren gesetzlichen Neuerung auseinandersetzen, der Mitgabe der Alterungsrückstellungen. Das ist der Teil der Prämie, der zur Abdämpfung von Prämienerhöhungen im Alter angespart wird. Bisher bleibt er beim Versichertenkollektiv, wenn ein Kunde kündigt und das Unternehmen wechselt. Ab 2009 müssen die Versicherer die Rückstellungen genau in dem Umfang mitgeben, der dem Basistarif entsprechen würde. „Das aktuariell abzubilden ist ungeheuer anspruchsvoll und extrem aufwendig“, sagt Riedel.
Der Versicherer wiederum, zu dem ein Kunde mit seinen Alterungsrückstellungen wechselt, muss die neue Prämie so kalkulieren, als ob er ihn auch in der Vergangenheit versichert hätte. „Man kann so etwas für 30 Jahre nicht richtig zurückrechnen“, sagt Debeka-Vorstand Weber. Er hält es für sinnvoller und praktikabler, die Mitgabe der Alterungsrückstellungen nach einer festen Faustregel zu handhaben, etwa: Zwei Drittel nimmt der Versicherte mit, ein Drittel bleibt beim Unternehmen.
Weber verweist auf Schätzungen, nach denen es die PKV-Unternehmen über alle Abteilungen jeweils rund 10 000 Manntage kostet, das neue Geschäftsmodell zu installieren. „Für kleine Unternehmen wird das schwierig.“
Die Zeit, die den Versicherungsmathematikern zur Verfügung steht, ist knapp. „Mitte nächsten Jahres müssen wir mit der Kalkulation fertig sein, eigentlich schon im ersten Quartal“, sagt Riedel. Das wäre schon ehrgeizig genug, wenn die mathematischen Abteilungen sonst business as usual hätten. Dem ist aber nicht so. Die Unternehmen müssen 2007 auch die Folgen der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verarbeiten. „In der Branche rotieren zurzeit alle, es wird sehr eng werden“, berichtet Riedel.
Zitat:
“ „Wir dürften uns darauf gar nicht einlassen“ “ – Roland Weber, Debeka –
Bild(er):
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Quelle: Financial Times Deutschland
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