Die Europäische Union will mit ihren neuen Eigenmittelvorschriften größere Transparenz und Stabilität in der Assekuranz erreichen. Gewinner sind die Versicherungsmathematiker dsfgsd fs
VON Herbert Fromme Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit bereitet die EU-Kommission eine Revolution in einer der wichtigsten Finanzbranchen vor. Ab 2010 sollen europaweit einheitliche Eigenkapitalvorschriften für Versicherer gelten, um gleiche Bedingungen im europäischen Markt zu schaffen.
Aber damit gibt Brüssel sich nicht zufrieden: Nebenbei führt die Kommission unter dem Stichwort Solvency II eine ganzheitliche Risikobetrachtung für die Assekuranz ein. Wer höhere Risiken übernimmt, sei es bei Versicherungsgeschäften, sei es bei Kapitalanlagen, braucht mehr Kapital als ein Versicherer mit kleinerem Risiko.
Damit könnten trotz der gewollten schärferen Konkurrenz auf europäischer Ebene Versicherungsinsolvenzen weitgehend vermieden werden, hoffen die EU-Kommissare. Die Erfahrung mit der Beinahepleite einer Reihe von Gesellschaften im Zuge des Börsencrashs von 2001 und 2002 steckt der EU und vielen Versicherungsaufsehern noch in den Knochen. „Unser Ziel ist es, einen Anreiz für die Unternehmen zu schaffen, dass sie ihre Risiken kennen, erfassen und eindämmen“, sagt Karel van Hulle, der zuständige Referatsleiter bei der EU-Kommission. „Dazu kommt der Schutz der Versicherungsnehmer durch eine effiziente Aufsicht.“ Bessere Vergleichbarkeit und Transparenz der Versicherer aus verschiedenen Ländern gehören ebenfalls zu den Zielen.
Vorbild ist Basel II, das neue Regelwerk fürs Eigenkapital der Banken. Noch steht aber überhaupt nicht fest, wie Solvency II genau aussehen wird. Aufseher und Branche haben ihre Hausaufgaben bisher zwar weitgehend erledigt und die Praktikabilität erster Modelle erprobt. Aber die politischen Verhandlungen zwischen den EU-Ländern stehen noch aus.
Nicht bei allen Versicherern ist das neue System beliebt. Manche halten es für ein bürokratisches Monster. Andere fürchten, dass kleinere Gesellschaften auf der Strecke bleiben. Dennoch bestimmt Solvency II schon die Planungen der Assekuranz. Eine Berufsgruppe gewinnt dabei auf jeden Fall: Die Aktuare, das sind besonders qualifizierte Versicherungsmathematiker. Entsprechend gut dürfte die Stimmung auf der Jahrestagung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) in dieser Woche in Berlin sein.
Jahrzehntelang galten die Aktuare als verstaubte Zahlenmenschen. Sie sorgten in der Kalkulation von Tarifen vor allem in der Lebens- und Krankenversicherung dafür, dass die Prämien zu den zugesagten Leistungen passten – auf der Basis der Erfahrungen aus der Vergangenheit. Immer noch gelten sie bei den Vertriebschefs der Assekuranz als personifizierte Bedenkenträger. „Da herrscht natürliche Feindschaft“, sagt ein Aktuar und Vorstand eines norddeutschen Versicherers.
Künftig haben diese Spezialisten noch mehr Einfluss. „Den Aktuaren als Risikomanagern wird eine zentrale Rolle zukommen“, sagt Thomas Steffen, Chef der Versicherungsaufseher in der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Allerdings müssen sie sich an ihre neue Rolle anpassen. „In der Vergangenheit haben Aktuare vor allem mit Datenreihen aus der Vergangenheit und daraus abgeleiteten Mittelwerten gearbeitet“, sagt der DAV-Vorsitzende Norbert Heinen. „Nicht ausreichend berücksichtigt wurden die Schwankungen der verschiedensten Größen und ihre Wirkung aufeinander.“
In Zukunft wenden Versicherungsgesellschaften die Methoden der Aktuare zur Risikobewertung auch auf der Kapitalanlageseite an. Früher waren Risiko und Kapitalanlage bei den meisten Versicherern völlig getrennt. Da konnte es passieren, dass die Versicherer einen großen Pharmakonzern gegen Haftpflichtschäden abdeckten und die Kapitalanleger fröhlich in Aktien genau dieser Gesellschaft investierten. Kam es zum Versicherungsfall durch Probleme mit Medikamenten, rutschte auch die Aktie ab – der Versicherer war doppelt getroffen. Die ganzheitliche Risikobetrachtung soll so etwas unmöglich machen.
Auch in der Entwicklung neuer Versicherungsangebote spielen Aktuare künftig eine größere Rolle, weil viele Versicherer Solvency II vorwegnehmen. „Beim Produktdesign betrachtet man sehr genau, wie sich das auf die Risikotragfähigkeit und die nötige Ausstattung mit Risikokapital auswirkt“, sagt Peter Weiler, Vorstandsmitglied der R+V-Versicherungsgruppe in Wiesbaden. „Obwohl Solvency II noch nicht in Kraft ist, gehen diese Überlegungen heute viel stärker in die Entwicklung ein als vor fünf oder zehn Jahren.“ Auch dafür brauchen die Versicherer die besonderen Fähigkeiten der Aktuare. Allerdings warnt Weiler: „Versicherer dürfen die Rolle der Aktuare im Unternehmensprozess nicht überbetonen. Entscheidungen müssen schon noch nach unternehmerischen Gesichtspunkten getroffen werden.“
Über mangelnde Arbeit können sich die Aktuare schon heute, lange vor Einführung der neuen Regeln, nicht beschweren. Ein Grund dafür ist die zurzeit laufende Veränderung in den deutschen Vorschriften. Das neue Versicherungsvertragsgesetz wird gerade im Bundestag verhandelt. Es bringt sehr wahrscheinlich weitreichende Umwälzungen. Die meisten Angebote vor allem der Lebensversicherer müssen überarbeitet oder ganz neu entwickelt werden.
Zitat:
“ „Den Aktuaren wird eine zentrale Rolle zukommen“ “ – Thomas Steffen, BaFin –
Bild(er):
Verbraucherschützer halten es für Geldverschwendung, dass Privatleute eine Glasbruchversicherung abschließen. Dennoch kaufen Millionen einen Vertrag, um für eine eingeschlagene Scheibe entschädigt zu werden – Corbis/Ashley Cooper
Quelle: Financial Times Deutschland
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