Versicherungsmathematiker kritisieren die geplante Reform des Versicherungsvertragsgesetzes und hoffen auf Änderungen
VON Patrick Hagen Die deutschen Versicherungsmathematiker setzen auf Änderungen des Entwurfs für das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Das geplante Gesetz bedeute eine Einschränkung der Produktlandschaft und verteuere die Altersvorsorge, kritisiert Norbert Heinen, der Vorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung. „Die Regelungen gehen zulasten der Kunden, die ihre Verträge erfüllen.“
Die Neufassung des Gesetzes soll zum 1. Januar 2008 in Kraft treten und das dann 100 Jahre alte VVG ersetzen. Mit der Novelle will die Bundesregierung mehr Rechte und höhere Transparenz für Verbraucher erreichen. Versicherer und Aktuare sind sich einig in der Ablehnung von Kernbestandteilen des Regierungsentwurfs – auch wenn sie die Reform als Ganzes begrüßen.
Bisher bekamen Lebensversicherungskunden vor allem wegen der vorab abgezogenen Vermittlerprovision bei einer vorzeitigen Kündigung wenig zurück, in den ersten Jahren oft nichts. Dieser Praxis der Assekuranz hatte der Bundesgerichtshof mit einem Urteil 2005 einen Riegel vorgeschoben. Der Gesetzentwurf sieht jetzt garantierte Rückkaufswerte vor. Das ist die Summe, die ein Versicherer dem Kunden beim Rückkauf der Police auszahlt. „Aus Sicht der Aktuare sind die garantierten Rückkaufswerte der gravierendste Mangel des Gesetzes“, sagt Heinen.
Noch eine weitere geplante Vorschrift liegt ihm schwer im Magen, vor allem in der Kombination mit den garantierten Rückkaufswerten. Künftig sollen die Versicherer alle ausscheidenden Kunden mit 50 Prozent an den stillen Reserven beteiligen, die mit ihren Beiträgen aufgebaut wurden. Stille Reserven entstehen, wenn der Marktwert einer Aktie, Immobilie oder Anleihe höher ist als der Buchwert. Dies soll auch für stille Reserven auf festverzinsliche Wertpapiere gelten. Dagegen läuft die Branche Sturm. Der Großteil ihrer Kapitalanlagen steckt in Staats- oder Unternehmensanleihen. Bei diesen Papieren entstehen stille Reserven, wenn die Zinsen fallen. Bei steigenden Zinsen hingegen sammeln sich beim Versicherer stille Lasten auf den Papieren. „Diese dürfen die Versicherer den Kunden aber nicht abziehen“, sagt Heinen. Er verlangt eine „gewisse Symmetrie“.
„Eine Reduzierung der Rückkaufswerte muss möglich sein, wenn signifikante stille Lasten da sind“, sagt auch Johannes Lörper, Vorstand bei Victoria und Hamburg-Mannheimer, die zur Ergo-Gruppe und damit zur Münchener Rück gehören. Sonst könne die geplante Regel dazu führen, dass sich das Stornoverhalten ändert und mehr Kunden bei steigenden Zinsen kündigen, um ihr Geld besser verzinst neu anzulegen. Dies ginge zulasten der verbliebenen Kunden.
Die Regelung könne einzelne Unternehmen an den Rand der Insolvenz bringen, fürchtet Heinen. „Das könnte bedeuten, dass ein Unternehmen bei extrem niedrigen Zinsen, wenn es zu Marktwerten gerechnet schon längst pleite ist, noch Bewertungsreserven an die Kunden ausschütten muss.“ Er hofft, dass der Gesetzentwurf in diesem Punkt noch geändert wird.
Für die Aktuare bei den Lebensversicherern bedeutet das Gesetz viel Arbeit. „Wir müssen jedes Produkt neu bauen“, sagt Lörper. Tarife und Bedingungen müssten neu gestaltet werden. Dazu kommt die Unsicherheit über die endgültigen Regeln. „Es gibt viele Möglichkeiten zur Ausgestaltung der Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven“, sagt Lörper. „Wir arbeiten parallel an verschiedenen Szenarien“, sagt auch Fabian Rupprecht, verantwortlich für die Produktgestaltung bei der Axa.
Die Lebensversicherer fürchten, dass mit der Reform die kapitalbildende Lebensversicherung weiter an Attraktivität verliert. Schon nach dem Wegfall der Steuerprivilegien 2005 hatte die Branche mit enormen Einbrüchen zu kämpfen. „Das bedeutet eine Verschiebung des Leistungsversprechens zuungunsten langfristiger Kunden“, sagt Lörper. Diese bekämen tendenziell weniger. Auch Rupprecht glaubt, dass sich die Rendite für Kunden verschlechtern wird. „Die Reform schränkt die Attraktivität der konventionellen Produkte weiter ein.“ Die Axa sei davon allerdings weniger als andere betroffen. Axa macht 70 Prozent des Geschäfts mit einen Kombiprodukt und fondsgebundenen Lebensversicherungen. „Wir denken, dass der Trend zu diesen Produkten geht“, sagt Rupprecht.
Auch die Victoria will in Zukunft bei fondsgebundenen Lebensversicherungen stärker werden. „Das Marktumfeld für die kapitalbildende Lebensversicherung könnte bei steigenden Zinsen schwierig werden“, sagt Lörper. Er kann der Regelung aber auch eine gute Seite abgewinnen. „Vielleicht werden mit der Einführung der garantierten Rückkaufswerte die kritischen Stimmen gegen die Lebensversicherung weniger.“
Zitat:
“ „Die Regelungen gehen zulasten der Kunden, die ihre Verträgeerfüllen“ “ – Norbert Heinen, Deutsche Aktuarvereinigung –
Bild(er):
Die Wahrscheinlichkeit, von einem Alien entführt zu werden, ist äußerst gering. Der englische Versicherer Huckleberry verkauft trotzdem oder gerade deswegen Policen, die Kidnapping durch Außerirdische decken – Bildagentur-online/F.Saurer
Quelle: Financial Times Deutschland
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