Die Standesvertretung der Ärzte versucht, mit eigenen Dienstleistern verlorenen Einfluss zurückzugewinnen. Ob das Konzept aufgeht, ist im Markt und unter Medizinern umstritten Ilse Schlingensiepen
Kaum jemand weiß, was sich hinter dem sperrigen Namen KVWL Consult verbirgt. Unter den mehr als 720 Angestellten der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) fallen die sechs Mitarbeiter der Consult kaum ins Gewicht. Gerade mal vier Räume stehen ihnen im Dortmunder Hauptquartier der KVWL zur Verfügung. Und doch ist die kleine Gesellschaft angetreten, im Markt der neuen Versorgungsformen und der Ärzteberatung mitzumischen. Es geht um Macht, Einfluss und Geld.
Mit der Gründung von Dienstleistungstöchtern versuchen die KVWL und andere Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), verloren gegangenes Terrain zurückzugewinnen. Ihr Rückhalt bei den Ärzten schwindet, weil viele die Zwangsmitgliedschaft in einer Körperschaft öffentlichen Rechts für nicht mehr zeitgemäß halten. Gleichzeitig haben Politiker die Handlungsmöglichkeiten der KVen eingeschränkt, um die Macht der Ärztevertretungen stärker zu beschneiden.
Die KVWL hat im Jahr 2003 als erste eine Tochtergesellschaft gegründet, kurze Zeit später folgte die KV Nordrhein. Inzwischen haben sieben Körperschaften Dienstleistungsunternehmen ins Leben gerufen, zwei würden am liebsten einer bundesweiten Einrichtung beitreten, drei lehnen die Option zum jetzigen Zeitpunkt ab. In fünf der 17 KVen ist noch keine Entscheidung gefallen.
Gesetzlich geregelt ist der Status der Consults seit 1. April 2007. Als Tätigkeitsfelder nennt das Sozialgesetzbuch V die Beratung von Ärzten und die Vertragsabwicklung bei Verträgen zwischen Ärzten und Kassen, bei denen die Muttergesellschaften, die KVen, außen vor sind. Auch Verwaltungsaufgaben für Praxisnetze sollen die Dienstleister übernehmen. Sie müssen sich selbst finanzieren, die KVen dürfen sie nicht quersubventionieren.
„Die Gründung der KVWL Consult GmbH war die richtige Entscheidung“, sagt Thomas Kriedel, KV-Vorstand in Westfalen-Lippe. „Wir brauchen eine Tochter, die anders aufgestellt ist als wir selbst.“ Die sechs Mitarbeiter der KVWL Consult sind flexibel, gehen aktiv auf die Ärzte zu und begreifen sie als Kunden, sagt Kriedel. „Das ist wie eine Außenstelle für Marketing und Akquise.“ Die KVWL Consult ist zwar rechtlich eigenständig, ihre Mitarbeiter sind aber im selben Haus tätig und stehen im ständigen Austausch mit der KV. Die Consult profitiere vom Know-how der KV, gleichzeitig bewirke sie dort Innovationen und eine Modernisierung der Abläufe, sagt Kriedel.
Die Consult habe sich gut im Markt etabliert. Auch Krankenkassen seien interessiert. „Manche wollen das Know-how der KV, aber nicht die Interessenvertretung der Niedergelassenen.“
Eine wichtige Triebfeder für die Gründung der Consult war die Hoffnung, im Einzelvertragsgeschäft Fuß zu fassen – wenn Kassen mit Arztgruppen Verträge schließen, ohne die KV einzubeziehen. In diesem Bereich passiert zurzeit nicht viel, berichtet Kriedel. Die Kassen wollten dafür kein Geld in die Hand nehmen.
Als ein Schwerpunkt kristallisiere sich dagegen die Unterstützung und Beratung der Ärzte bei neuen Kooperationsformen heraus, etwa in Netzen oder integrierten Versorgungsmodellen. Die KVWL Consult entwickelt Konzepte, wie Ärzte künftig im ambulanten Sektor arbeiten können, ohne sich in eigener Praxis niederlassen zu müssen. „Wir prüfen zurzeit, ob die Consult medizinische Versorgungszentren gründen und betreiben darf“, sagt Kriedel. Dabei gehe es darum, diese Zentren in den Händen von niedergelassenen Ärzten zu halten und das Feld nicht Kliniken oder Managementgesellschaften zu überlassen.
Nach Einschätzung von Leonhard Hansen, Chef der KV Nordrhein, müssen die KVen bei den Einzelverträgen am Ball bleiben, auch wenn der Sektor im Moment eher ruhig ist. „Um hier alle möglichen Optionen bedienen zu können, brauchen wir die Consult“, sagt Hansen. Die Dienstleistungstochter in Nordrhein wickle bereits eine Vielzahl kleiner Integrationsverträge ab. Hier schätzten die Kassen und die beteiligten Ärzte das Know-how und die günstigen Preise.
Werden die Leistungen in Einzelverträgen über andere Anbieter abgerechnet, fürchten manche Kassen die Gefahr der Doppelabrechnung, sagt Hansen. Ärzte rechnen eine Leistung einmal über den Vertrag ab und dann noch einmal über die KV. „Die KV Consult kann die Daten abgleichen und Missbrauch verhindern.“ Der Datenabgleich sei vertraglich geregelt und geschehe mit Billigung der Ärzte.
Für Helmut Hildebrandt, Geschäftsführer der Hildebrandt Gesundheitsconsult in Hamburg, sind die Consult-Töchter direkte Konkurrenten im Feld der neuen Versorgungsformen und der Ärzteberater. Entsprechend kritisch beäugt er ihr Tun. „Es ist eine ordnungspolitische Frage, ob eine quasi monopolistische Behörde sich ein wirtschaftlich tätiges Unternehmen als Standbein schaffen darf“, sagt Hildebrandt.
Die enge Verbundenheit mit der KV verschaffe den Dienstleistungstöchtern gegenüber den Mitbewerbern im Markt große Vorteile. Sie könnten auf Know-how und Daten zurückgreifen, die den anderen Anbietern nicht zur Verfügung stehen, sagt er. „Es ist zu erwarten, dass jemand gegen eine solche Konkurrenz klagen wird.“ Gleichzeitig macht Hildebrandt bei einzelnen Projekten positive Erfahrungen mit den KV Consults. „Im konkreten Alltag erweisen sich die Mitarbeiter als kompetente Kooperationspartner“, berichtet er.
„Ein wesentlicher Faktor für die Positionierung zur KV Consult ist, welchen Stellenwert die KV dem Thema integrierte Versorgung einräumt“, sagt Eberhard Wille, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Die KVen dürfen keine Verträge zur integrierten Versorgung abschließen. Das können zwar auch die Dienstleistungstöchter nicht. Das Gesetz räumt ihnen aber die Möglichkeit ein, zumindest die Abrechnung oder die Vertragsabwicklung zu übernehmen. So wären die KVen indirekt wieder mit im Boot.
Als weiteres wichtiges Handlungsfeld sieht Wille die Beratung. „Entscheidend ist dabei, ob die Ärzte Beratungsbedarf sehen und bereit sind, für die Leistungen zu bezahlen“, sagt er.
Da die Consult-Töchter nach dem Gesetz keine Vertragspartner bei der integrierten Versorgung sein können, sieht die KV Baden-Württemberg (KVBW) keinen Handlungsbedarf für die Gründung einer Dienstleistungstochter. „Wenn die KV Consult solche Verträge abschließen dürfte, wären wir sofort mit dabei“, sagt der KVBW-Vorsitzende Achim Hoffmann-Goldmayer. Die Beratung der Ärzte ist in seinen Augen Aufgabe der KV, nicht der Consult. Außerdem gebe es in Baden-Württemberg mit dem Medi-Verbund und den Ärztegenossenschaften bereits große Serviceanbieter für Ärzte. „Es macht keinen Sinn, Dinge zu kopieren und das Rad immer wieder neu zu erfinden“, betont Hoffmann-Goldmayer.
Auch Wilfried Jacobs, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, hält nicht viel von den neuen Gesellschaften: „Eine kreative KV braucht keine Consult“, sagt er. Jacobs macht es von der konkreten Situation abhängig, ob er mit der KV oder mit einzelnen Ärzten und Ärztegruppen Verträge abschließt. Einen Dritten brauche er da nicht. „Ich verhandle lieber mit dem Original“, sagt der Kassenchef.
Statt sich mit eigenen Unternehmen im Markt zu tummeln, sollten die Körperschaften das Geschäft unabhängigen ärztlichen Organisationen überlassen – mit denen sie dann eng zusammenarbeiten können. Das fordert Klaus Bittmann, Vorsitzender des Ärzteverbands NAV-Virchowbund. „Die beiden Bereiche müssen völlig getrennt sein“, sagt er. Prädestiniert für solch ein Engagement sind auch in seinen Augen die Ärztegenossenschaften und der Medi-Verbund. Bittmann selbst ist Vorstandssprecher der Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein und kennt als ehemaliger Vorsitzender der KV Schleswig-Holstein das Geschäft genau.
„Die KVen behindern mit den Dienstleistungstöchtern eine wirkliche Interessenvertretung der Ärzte“, kritisiert Bittmann. Sie seien für die Sicherstellung und die kollektive Vertragsgestaltung zuständig und könnten deshalb nicht gleichzeitig die – auch finanziellen – Interessen einzelner Ärztegruppen bei der Verhandlung von Einzelverträgen mit den Krankenkassen effektiv vertreten, glaubt er. Angesichts der Konkurrenz durch Krankenhäuser und medizinische Versorgungszentren sei es für die Niedergelassenen aber wichtig, sich in diesem Bereich zu behaupten. „Wenn die KVen von sich aus dieses dünne Eis noch brüchiger machen, dann ist das unverantwortlich“, sagt der Verbandschef.
Bittmann sieht die Gefahr, dass der körperschaftliche Status der KV vom unternehmerischen Charakter der KV Consult infiziert wird und umgekehrt. Beides seien gefährliche Entwicklungen und schaden den Ärzten, warnt Bittmann. Die KVen gingen dieses Risiko wohl ein, weil sie Angst hätten, dass man ihnen etwas wegnehmen könnte, glaubt er.
Aus Sicht von Ärzteberater Helmut Hildebrandt sind die KV Consults ohnehin nur ein vorübergehendes Phänomen. „Sie werden nur kurze Zeit existieren“, prognostiziert er. Um sich als Unternehmen wirklich gewinnbringend auf dem Markt zu tummeln, müssten die Consults richtig investieren. „Wo soll das Geld dafür herkommen?“, fragt er. Sollten die KV-Töchter auf Dauer keinen Gewinn abwerfen, würden sich die KV-Mitglieder fragen, warum sich ihre Körperschaft ein solches Konstrukt überhaupt leistet.
Quelle: Financial Times Deutschland
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