Die Rückversicherer müssen zusätzliche Geschäftsfelder finden. Der Klimawandel hilft ihnen dabei, weitere Kunden zu gewinnen
VON Patrick Hagen Die Hurrikansaison ist offiziell noch nicht zu Ende, aber die Rückversicherer atmen bereits spürbar auf: Obwohl Prognoseinstitute eine überdurchschnittlich aktive Hurrikansaison vorhergesagt hatten, ist die Branche bisher glimpflich davongekommen. Den größten Schaden verursachte Hurrikan „Dean“, der in der Karibik wütete. Die Rückversicherer müssen dafür aber lediglich eine Summe zwischen 1 und 3 Mrd. $ aufbringen – eine Kleinigkeit gegen die 66 Mrd. $ Schaden, die alleine Hurrikan „Katrina“ vor zwei Jahren in New Orleans anrichtete.
Damit werden die Rückversicherer bereits das zweite Jahr in Folge von Orkan-Großschäden verschont. Offiziell dauert die Hurrikansaison noch bis zum 30. November. Die meisten Wirbelstürme entstehen aber zwischen Juli und September. Vorhersagen für einen besonders aktiven Sturmzyklus gab es auch für das vergangene Jahr, das ebenfalls schadenarm endete. 2005 hatten „Wilma“, „Rita“ und „Katrina“ eine der schwersten Schadenserien der Geschichte hinterlassen. Die Rückversicherer sind von Naturkatastrophen besonders betroffen, weil sie Erstversicherern wie Axa oder Allianz – die wiederum mit Endkunden Geschäfte machen – ihre Spitzenrisiken abnehmen.
Dass auch dieses Jahr die schweren Hurrikanschäden ausgeblieben sind, sehen die Rückversicherer aber nicht als Entwarnung. „Es hat zwei Stürme der höchsten Kategorie gegeben“, sagt Henner Alms, Sprecher des weltgrößten Rückversicherers Swiss Re. Das sei extrem ungewöhnlich. „Die Jahre 2004 und 2005 haben die Wahrnehmung etwas verzerrt“, sagt Alms. Auch der Rivale Münchener Rück rechnet langfristig mit einer Zunahme von Sturmschäden. „Es mag schadenarme Jahre geben und welche mit besonders vielen Schäden – aber der Trend zeigt nach oben“, sagt Peter Höppe, Leiter der Abteilung für Geo-Risikoforschung der Münchener Rück.
Die Mehrheit der Experten glaubt, dass der Klimawandel für die vermehrten Sturmschäden verantwortlich ist und er seinen Ursprung im Ausstoß von Klimagasen hat. Unumstritten ist das aber auch in der Assekuranz nicht. „Die natürliche Klimavariabilität ist so groß, dass bis heute diesbezüglich keine verbindlichen Aussagen gemacht werden können“, sagt Alms von der Swiss Re.
In München ist man sich dagegen sicher: „Der Klimawandel der vergangenen Jahrzehnte ist fast ausschließlich menschengemacht“, sagt Höppe. „Dass natürliche Zyklen wie etwa die Warm- und Kaltphasen im Nordatlantik die Auswirkungen des Klimawandels regional überlagern, widerspricht dieser Aussage nicht.“
Ob natürliche Schwankung oder von Menschen verursacht – Tatsache ist, dass es häufiger und schwerer stürmt. Mehr und teurere Gebäude in sturmgefährdeten Gegenden führen außerdem dazu, dass auch die Schäden höher ausfallen. Aufgerüttelt hatte die Versicherer der Hurrikan „Andrew“, der sie 1992 15 Mrd. $ kostete. Zahlreiche US-Gesellschaften gingen in der Folge pleite.
Für die Rückversicherer ist es notwendig zu wissen, welche Risiken sie übernehmen. Für ihre Katastrophenmodelle, mit denen sie mögliche Schäden simulieren, waren lange die Schadenerfahrungen der Vergangenheit entscheidend. Sie orientierten sich daran, wie oft es schon Stürme einer bestimmten Stärke gegeben hatte und welche Schäden sie verursacht hatten. Das reicht heute nicht mehr. „Bei der Hurrikangefährdung bilden beispielsweise Ereignisse während der jetzigen Warmphase die Grundlage“, sagt Höppe. In ihnen sei der Klimawandel erkennbar. „Würden einfach historische Schadendaten gezählt, hätte man diesen Effekt nicht berücksichtigt.“
Neben eigenen Modellen greifen die Versicherer für ihre Schadenszenarien auf Spezialfirmen wie Risk Management Solutions oder Equecat zurück, die Naturkatastrophen und ihre Folgen simulieren. Doch auch sie liegen nicht immer richtig. Keiner der Spezialisten hatte die Überflutung von New Orleans auf der Rechnung gehabt. Ihrem Geschäft hat das nicht geschadet. Auch wenn der Ruf seitdem etwas angekratzt ist – die Versicherer können auf die Dienste der Spezialisten nicht verzichten.
Zwei schadenarme Jahre haben aber nicht nur die Kassen der Rückversicherer geschont. Auch die Erstversicherer mussten weitaus weniger Katastrophenschäden bezahlen und können mehr Risiken selbst tragen.
Für die Rückversicherer bedeuten mehr Schäden langfristig auch mehr Geschäft. „Wir gehen von einer steigenden Nachfrage nach Risikoschutz durch den Klimawandel aus“, sagt Höppe von der Münchener Rück.
Wachstumspotenzial sieht der Rückversicherer auch bei der Deckung von Solar- und Windenergieanlagen. „Wir gehen davon aus, dass hier ähnlich wie im Biotechnologiebereich eine ganz neue Industrie entsteht“, sagt Torsten Jeworrek, Vorstand bei der Münchener Rück. Der Betreiber eines Offshore-Windparks kann sich nicht nur gegen Sturmschäden oder Überflutung schützen, sondern auch gegen Windflauten. „Wir decken zwar nicht die Marktpreise der produzierten Energie, wohl aber beispielsweise die Windkonstanz oder die erwartete Windintensität pro Jahr“, sagt Jeworrek.
Mit einer eigenen Police sichert die Gesellschaft Unternehmen und Anleger ab, die im Rahmen des Kioto-Protokolls in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern investieren. Diese Unternehmen erhalten Emissionsgutschriften, die sie selbst nutzen oder verkaufen können. Zerstört ein Sturm die Anlage oder werden weniger Schadstoffe eingespart als vorgesehen, springt die Police ein und übernimmt den Verlust der Emissionsrechte. Auch politische Risiken sind abgedeckt.
Empört ist die Branche über Eingriffe von US-Bundesstaaten in den Markt. So hat Florida auf die steigenden Versicherungsprämien reagiert und die Kapazität des staatseigenen Rückversicherers und des staatlichen Versicherungsprogramms aufgestockt. Gerade für Florida werde es in Zukunft eine deutlich höhere Schadenwahrscheinlichkeit geben, sagt Jeworrek. „Wenn es solche Eingriffe gibt, die zu Zwangsreduktionen der Preise führen, dann könnte es passieren, dass solche Risiken nicht mehr versicherbar sind.“ Generell blieben Naturkatastrophen-Risiken aber versicherbar, solange es keinen gesetzlich verordneten Druck auf die Preise gebe, sagt Jeworrek. „Man kann schon über Systeme wie eine Private-Public Partnership zur Glättung der Preisschwankungen nachdenken, aber sie müssen wirtschaftlich sein und dem Prinzip risikoadäquater Preise folgen.“
Zitat:
“ „Die Jahre 2004 und 2005 haben die Wahrnehmung verzerrt“ “ – Henner Alms, Swiss Re –
Bild(er):
Abgeknickte Bäume auf einer Bergkuppe in der Nähe der Stadt Werdohl im Sauerland. Der Wintersturm „Kyrill“, der im Januar über Europa tobte, hat in Nordrhein-Westfalen schätzungsweise 25 Millionen Bäume beschädigt – Reuters/Ina Fassbender
Quelle: Financial Times Deutschland
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