Die Schulden drücken, die Investoren murren – mit dem geplanten Umzug nach Hamburg und der Verschmelzung von TUI mit Hapag-Lloyd tritt Michael Frenzel die Flucht nach vorn an. Es dürfte die letzte Chance sein, den Konzern herumzureißen
Von Christiane Ronke und Jan Keith, Hamburg Die Nachricht aus Hannover schlägt im Hamburger Rathaus ein wie eine Bombe. Der Touristikkonzern TUI will von der Leine an die Elbe ziehen. Das erste Dax-Unternehmen, das seinen Sitz in Hamburg nimmt – Gunnar Uldall ist begeistert. Der „weltweit wichtigste Schifffahrtsstandort“ werde dadurch weiter gestärkt, jubelt der Wirtschaftssenator. Noch in diesem Jahr will Konzernchef Michael Frenzel den traditionsreichen Transport- und Logistikkonzern Hapag-Lloyd mit TUI verschmelzen. Der Aufsichtsrat soll den Plänen bei der nächsten Sitzung am 23. Januar zustimmen.
Michael Frenzel ist einmal wieder die Flucht nach vorne angetreten – und hat alle überrascht. Den Konzern drücken gewaltige Schulden in Höhe von 3 Mrd. Euro, Übernahmen und Strategiewechsel zehren an den Kräften, die Kritik der Aktionäre wird immer lauter. Finanzinvestoren fordern seit Monaten, den vor sich hindümpelnden Konzern in Schifffahrt und Touristik aufzuspalten
Das aber will Frenzel auf keinen Fall. Und sein neuester Coup macht eine Abspaltung noch unwahrscheinlicher. Zwar gibt es wohl Interessenten für die Schifffahrtstochter, doch diese können nach der Verschmelzung kein isoliertes Übernahmeangebot mehr für Hapag-Lloyd abgeben, sondern müssten für den gesamten Konzern bieten. Und das wäre teurer und kompliziert, denn die Touristiksparte, die bei der deutsch-britischen TUI Travel liegt, wird von London aus gelenkt.
Mit dem jüngsten Deal hat Frenzel die Investoren überrumpelt. Der Umbau ist radikal. Künftig wird TUI ein Schifffahrtskonzern mit angehängter Touristikbeteiligung sein. „Die Verschiebung des Hauptquartiers nach Hamburg ist nur konsequent“, sagt Henning Gebhardt, einer der Geschäftsführer der Fondsgesellschaft DWS. „Schließlich findet dort nach dem Teil-Rückzug aus der Touristik das Hauptgeschäft statt.“
Manche spekulieren sogar, dass sich TUI komplett aus der Touristik verabschiedet. „Es sieht mir ganz so aus, als ob die TUI sich die Option offenhält, dass sie künftig nur noch aus der Schifffahrt besteht“, sagt etwa BHF-Bank-Analyst Nils Machemehl. Und ein Unternehmenskenner ergänzt: „Ich glaube, Frenzel wird nun mit der Schifffahrt das Gleiche machen wie mit der Touristik. Da soll etwas Neues gebastelt werden.“
Für Frenzel wäre es nicht die erste Kehrtwende. In Rekordzeit hat er den einstigen Mischkonzern Preussag mit den Schwerpunkten Stahl, Rohstoffe, Energie und Maschinenbau in ein Touristikkonglomerat umgebaut. Die Geschichte beginnt 1997 mit der Übernahme von Hapag-Lloyd. Er kauft die restlichen Anteile von TUI Deutschland, erwirbt die First-Reisebüros und Anteile an Reiseveranstaltern in Frankreich, England, England, Italien und Skandinavien. Fertig ist der neue Reiseriese. Frenzel wird als Visionär gefeiert.
2002 wird Preussag in TUI unbenannt – doch es läuft nicht rund. Vogelgrippe, Terror und Konjunkturschwäche lassen das Reisegeschäft zurückgehen – und es bleibt ein riesiger Schuldenberg. Der Kauf von Hapag-Lloyd samt ihrer Tochter TUI, der britischen Thomson Travel, des französischen Reise-Marktführers Nouvelles Frontieres und weiterer Beteiligungen in mehr als 20 Ländern hat Frenzel mehr als 6 Mrd. Euro gekostet. 2003 hat der Konzern Schulen in Höhe von 5,6 Mrd Euro.
Die Last trägt der Konzern über Jahre mit sich herum – bis heute. Frenzel hat wenig Handlungsspielraum. „Bei den aktuellen Kreditratings gibt es keine Flexibilität, was Akquisitionen oder höhere Investitionen angeht“, heißt es bei der Ratingagentur Standard & Poor’s. Mit einer in der vorigen Woche platzierten Umtauschanleihe über 450 Mio. Euro wollte sich der Konzern Luft verschaffen. Doch die komplizierte Transaktion verschreckte die Anleger, sodass TUI die Konditionen nachbessern musste und die Refinanzierung dadurch für den Konzern teurer wird als geplant.
Für Unbehagen sorgte vor allem, dass der Konzern für mindestens fünf Jahre die Mehrheitsbeteiligung an seiner deutsch-britischen Touristiktochter TUI Travel abgibt. Den etwa zehnprozentigen Anteil will das Unternehmen zwar 2013 zurückkaufen. Anleger befürchteten dennoch den Einstieg in den Ausstieg aus der Touristik.
Im vergangenen Jahr fusionierte Frenzel das Touristikgeschäft der TUI mit dem britischen Konkurrenten First Choice – und hielt danach nur noch 51 Prozent an dem neu formierten Unternehmen. Mit der Fusion sicherte er der TUI die Spitzenposition als Europas größter Reisekonzern. Doch die Sorgen sind geblieben – vor allem beim Fluggeschäft.
Auch hier ging das Unternehmen auf Zickzackkurs: Mal wollte TUI ins lukrative Low-Cost-Geschäft einsteigen, dann wieder nicht. Der Konzern gründete den Billigflieger HLX und baute die Marke („Fliegen zum Taxipreis“) für viel Geld auf. Dann wurde sie wieder eingestampft und HLX mit dem Charterflieger Hapagfly unter der Marke TUIfly zusammengelegt. Erst expandierte Frenzel stark, dann reduzierte er Kapazitäten, weil einige Veranstalter mit dem neuen Namen der Fluggesellschaft nicht klarkamen. Das Hin und Her drückte auf den Gewinn. Jetzt würde TUI seine Airline am liebsten wieder loswerden. Doch der mögliche Fusionspartner, die Lufthansa-Tochter Germanwings, ziert sich noch. Die Gespräche ziehen sich bereits seit Monaten hin.
Der Einstieg mehrerer Investoren macht Frenzel offenkundig nervös. Zuletzt machte der amerikanische Firmenjäger Guy Wyser-Pratte Front gegen den TUI-Chef. Er forderte im September Frenzels Ablösung und schimpfte: „Es gibt keine vernünftige Strategie, keine Transparenz und keine Leistung. Egal welchen Maßstab man anlegt – TUI liegt immer spektakulär unter dem Durchschnitt.“
Noch unangenehmer für Frenzel dürften die Attacken des britischen Vermögensverwalters Hermes vor gut einem Jahr gewesen sein. Hermes forderte Aufsichtsrat und Vorstand in einem Brandbrief auf, den Konzern in seine Sparten Tourismus und Schifffahrt aufzuspalten. Frenzel schmetterte die Forderungen ab. Doch ihm war klar, dass er fortan mehr Verbündete brauchte. Auf seiner Seite waren bis dato nur die befreundeten Aktionäre von der spanischen Hotelkette Riu und dem spanischen Kreditinstitut Caja de Ahorros mit Anteilen von je fünf Prozent.
Zu wenig. So bemühte sich Frenzel darum, mehr Gesellschafter zu gewinnen, die keinen Zweifel an seiner Strategie hegen. Sogar mit dem Hamburger Senat soll es Gespräche gegeben haben. Daraus wurde zwar nichts, doch der Konzern wurde woanders fündig. Frenzel holte den russischen Stahl-Unternehmer Alexej Mordaschow mit an Bord, der seine Beteiligung jüngst auf rund fünf Prozent aufgestockt hat.
Zu den Investoren gehört seit 2007 auch der norwegische Reeder John Frederiksen, der angeblich ebenfalls auf Frenzels Seite steht. Freunde jedenfalls hat er offenbar genug. Sein Vertrag wurde bereits im November um weitere fünf Jahre bis 2012 verlängert. Er ist damit der dienstälteste Chef eines Dax-Unternehmens. Trotz aller Kritik kann der gewiefte Taktiker auf seine Hausmacht bei TUI vertrauen.
Frenzel, jetzt 60, verschaffe sich mit dem Umzug einen „guten Abgang“, meint ein hochrangiger Hapag-Lloyd-Mitarbeiter. Das mache sich viel besser an der Spitze eines operativen Unternehmens mit Symbolkraft als in einer leeren Holding. „Frenzel will sich mit Hapag-Lloyd schmücken.“
Bei der begehrten Schifffahrtstochter dürfte Frenzel trotzdem nicht mehr allzu beliebt sein. Schon früher galt das Verhältnis zwischen den beiden Konzernen als distanziert. In Hamburg war man froh, dass die TUI-Führung in Hannover sitzt, und sich Hapag ein bisschen Unabhängigkeit bewahren konnte.
Am Hamburger Ballindamm gibt man sich betont gelassen. „Frenzel wird nicht den Fehler machen, in die erfolgreiche Schifffahrt hineinregieren zu wollen“, sagt ein Manager. Auch wenn Hapag-Lloyd-Chef Michael Behrendt möglicherweise nicht mehr Vorstandsvorsitzender einer separaten Hapag-Lloyd AG sein wird, dürfte ihm Frenzel den Sitz im Vorstand des Dax-Unternehmens TUI nicht nehmen. „Bei dem Hapag-Lloyd-Cheftitel handelt es sich eher um Hamburger Befindlichkeiten, die gestört werden könnten“, sagt der Manager.
Behrendt droht zwar nun ein Macht- und Prestigeverlust, aber er gilt als Gefolgsmann Frenzels. Behrendt sei vermutlich froh, wenn Hapag-Lloyd, sein Unternehmen, nicht verkauft werde, sagt ein Insider.
Für Niedersachsen und seine Landeshauptstadt sind die TUI-Pläne womöglich dramatischer. Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil ist alarmiert: „Es geht dabei vor allem um Arbeitsplätze, aber auch um die Zukunft eines niedersächsischen Traditionsunternehmens“, erklärte er gestern. Immerhin: Den Haushalt der Stadt brächte ein Umzug nicht in Schwierigkeiten. TUI zahlt wegen der hohen Verluste schon seit Jahrn so gut wie keine Gewerbesteuer mehr.Mitarbeit: Herbert Fromme
Quelle: Financial Times Deutschland
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