Verfassungsgericht vor Annahme der Versichererbeschwerde · Prestigeprojektder Regierung steht infrage
VON Herbert Fromme, Köln,und Timm Krägenow, Berlin Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat Zweifel, ob wichtige Teile der großen Gesundheitsreform dem Grundgesetz entsprechen. Nach FTD-Informationen plant Karlsruhe, die Verfassungsbeschwerde von 30 privaten Krankenversicherern (PKV) anzunehmen.
Das Gericht hat mit einer „großen Zustellung“ Ministerien, Verbände und andere Stellen aufgefordert, zu den Klagen Stellung zu nehmen. „Daraus kann man folgern, dass sich das Gericht mit der Sache beschäftigen wird“, sagte eine BVG-Sprecherin.
Eines der Prestigeprojekte der Merkel-Regierung steht damit zur Disposition. Die Kanzlerin hatte die Gesundheitsreform stets verteidigt, auch gegen heftige Kritik aus den eigenen Reihen. Gibt das Verfassungsgericht den Klägern tatsächlich recht, wäre das inhaltlich allerdings vor allem eine Schlappe für die SPD. Die Sozialdemokraten wollen die von ihnen ungeliebten privaten Versicherer mit dem Gesetzeswerk zu mehr Wettbewerb zwingen.
Das Gesundheitsministerium gab sich gestern unbesorgt. „Wir sehen das entspannt“, sagte ein Sprecher, und „gehen davon aus, dass unsere Regelungen rechtmäßig sind.“ Der PKV-Verband erwartet dagegen, dass die umstrittenen Teile der Reform gekippt werden. „Wir gehen zuversichtlich nach Karlsruhe, auch in Hinblick auf die Zeitschiene“, sagte Verbandsdirektor Volker Leienbach. Die für die Versicherer besonders schwer verdaulichen Brocken sollen am 1. Januar 2009 in Kraft treten – unter anderem der umstrittene Basistarif.
Karlsruhe hat Bundesregierung und Verbänden bis zum 30. September Zeit für schriftliche Stellungnahmen gelassen. Ob es noch im laufenden Jahr zur Verhandlung und einem Urteil kommt, ist zweifelhaft. Die Versicherer haben bisher keine einstweilige Anordnung beantragt, mit der die Reform gestoppt würde. In Versicherungskreisen hieß es aber, der Schritt sei vorbereitet. Wenn es im Oktober keine Zeichen für ein Urteil vor dem Jahreswechsel gebe, werde man ihn gehen.
Die Bundesregierung hatte mit der Gesundheitsreform weitreichende Änderungen für die Privatversicherer beschlossen, in denen zurzeit 8,5 Millionen Bürger versichert sind.
Die Gesellschaften werden durch das Gesetz gezwungen, einen Basistarif einzuführen, der ohne Risikoprüfung und zu einem festgelegten Höchstpreis allen potenziellen PKV-Versicherten offensteht – und für dessen mögliches Defizit auch die übrigen Kunden geradestehen müssen. Die PKV-Gesellschaften argumentieren, der Staat schiebe die „allgemeine Daseinsvorsorge“ damit auf die Versicherer ab. Dass rückwirkend in bestehende Verträge eingegriffen werde, verletze den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes.
Neben dem Basistarif richtet sich die Klage gegen weitere wichtige Änderungen. So schreibt die Reform eine dreijährige Wartefrist für gut verdienende Angestellte vor, ehe sie sich in einer PKV-Gesellschaft versichern dürfen. Zudem wird den gesetzlichen Kassen erlaubt, selbst Zusatztarife anzubieten. Schließlich wird der Wechsel zwischen zwei Kassen deutlich erleichtert, da Kunden ihre Alterungsrückstellung zu dem neuen Anbieter mitnehmen dürfen. Die Versicherer fürchten, dass sich ihre Tarife deutlich verteuern.
Die zentralen Punkte der Gesundheitsreform für die gesetzlichen Kassen – der bundesweit einheitliche Beitragssatz und der Gesundheitsfonds zum Finanzausgleich zwischen den Kassen – sind durch Annahme der Verfahren nicht gefährdet. Hier ist die nächste große Hürde die Festsetzung des einheitlichen Beitragssatzes durch das Gesundheitsministerium im Herbst.
Quelle: Financial Times Deutschland
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