US-Bundesstaat New York erweitert finanziellen Spielraum des Konzerns ·Weitreichende Beteiligungsverkäufe wahrscheinlich
VON Sebastian Bräuer, New York,
und Herbert Fromme, Köln
Die Regierung des US-Bundesstaats New York hat gestern die Existenz des größten US-Versicherers American International Group (AIG) zumindest vorläufig gesichert. Gouverneur David Paterson und Versicherungsaufseher Eric Dinallo erlaubten dem Unternehmen, 20 Mrd. $ Vermögen von Tochterunternehmen zur Stützung der Obergesellschaft zu verwenden.
„Es handelt sich nicht um eine staatliche Rettungsaktion“, betonte Paterson gegenüber Journalisten. AIG sei „finanziell gesund“. Die Regierung ermöglicht durch eine Sondervorschrift den Versicherungstöchtern des Konzerns, der problembeladenen Muttergesellschaft Geld zu leihen. „Sie geben sich selbst ein Überbrückungsdarlehen“, sagte Paterson. Weitere Transaktionen über die 20 Mrd. $ hinaus sollen folgen.
Damit hat AIG eine drohende Herabstufung durch die Ratingagenturen mit sehr negativen Konsequenzen zumindest für den Moment abgewendet. AIG hatte zuvor versucht, bei der New Yorker Fed einen Überbrückungskredit über 40 Mrd. $ zu erhalten – bislang ohne Erfolg. Die Notenbank spricht derzeit mit Banken und dem US-Finanzministerium über einen Rettungsplan für AIG.
Der Schritt der New Yorker Regierung gibt AIG Zeit, sich durch den Verkauf von Tochterunternehmen und durch den Einstieg von Investoren die dringend benötigte Liquidität zu beschaffen. Leicht wird das nicht. Bereits im Mai hatte AIG durch eine Kapitalerhöhung 20,3 Mrd. $ an frischem Geld aufgenommen. Das Anlegervertrauen ist überstrapaziert, die AIG-Aktie verlor gestern bis zu 64 Prozent auf 4,40 $ und erholte sich nach der Regierungsaktion auf 6,50 $. Der Verlust lag dann immer noch bei 47 Prozent.
Bereits am Wochenende hatte AIG US-Medienberichten zufolge erfolglos Gespräche mit Finanzinvestoren über einen Einstieg geführt, darunter KKR und JC Flowers. Der Versicherungsspezialdienst Insurance Insider meldete, AIG verhandele mit dem Investor Warren Buffett. Reuters meldete, die Gespräch seien beendet. Der Konzern schwieg dazu.
Analysten hegen trotz der jüngsten Hilfe zunehmend Zweifel an der Überlebensfähigkeit von AIG in der jetzigen Form. „AIG steht auf der Kippe“, sagte Sean Egan, Gründer der Ratingagentur Egan-Jones. „Das große Problem ist die absolute Ungewissheit, wie hoch die Risiken in den Büchern sind.“ Citigroup-Analyst Joshua Shanker senkte die AIG-Aktie von „kaufen“ auf „halten“. Wahrscheinlich gehe der Versicherer aus den Turbulenzen als komplett anders strukturierter Konzern hervor.
Eine Herabstufung durch die Ratingagenturen Standard & Poor’s (S&P) sowie Moody’s hätte katastrophale Folgen für AIG, deshalb will das Unternehmen diese mit allen Mitteln verhindern. Der Versicherer hat im großen Stil, genau wie die als Monoliner bekannten Anleiheversicherer, Investoren gegen Ausfälle bei hypothekenbasierten Anleihen abgesichert. Jahrelang war das hochprofitabel. Die Kreditkrise setzte dem ein Ende, in drei Quartalen summierten sich die Verluste auf 18 Mrd. $.
Sollten S & P und Moody`s AIG herabstufen, hätte dies einen sofortigen „negativen Effekt für die Liquidität“, hatte AIG bereits am 6. August der Aufsicht mitgeteilt. Denn die Eigner von Problemwertpapieren haben sich bei AIG im Vertrauen auf die testierte Finanzstärke abgesichert. Bricht das Rating ein, haben sie das Recht, von AIG weitere Sicherheiten von bis zu 13,3 Mrd. $ zu verlangen – 16,5 Mrd. $ musste AIG schon an Sicherheiten stellen.
Außerdem wären bei einem schlechteren Rating unter Umständen Vertragspartner berechtigt, vorzeitig zu kündigen und die Zahlung von bis zu 4,6 Mrd. $ zu verlangen. Auch im Kerngeschäft Versicherung hätte ein schlechteres Rating negative Folgen. Für die Versicherungseinkäufer in Großindustrie und Gewerbe ist die Finanzstärke das zentrale Qualitätsmerkmal.
Der New Yorker Versicherungsexperte David Schiff kritisierte die Ratingagenturen: „Es ist wirklich sehr beunruhigend, dass AIG vor drei Jahren noch ein Rating von ,AAA` hatte. Das wirft die Frage auf, ob Agenturen Fehler gemacht haben.“
Auf jeden Fall wird das Unternehmen sich von wichtigen Beteiligungen trennen müssen. Dazu gehören möglicherweise die Konsumentenbank American General Finance und der Anteil von 59 Prozent am Rückversicherer Transatlantic Holding. AIG-Chef Robert Willumstad hält an der profitablen Flugzeugleasingfirma International Lease Finance fest.
In Deutschland ist AIG als bedeutender Versicherer für Industriekunden tätig. „Unsere Mitglieder beobachten das Geschehen sehr sorgfältig“, sagte Günter Schlicht, geschäftsführender Vorstand des Deutschen Versicherungsschutzverbands, der Lobby der deutschen Wirtschaft in Versicherungsfragen. Die Ratingagenturen hätten ihre Bewertung von AIG noch nicht verändert, stellte er fest. „Wir sehen keine aufgeregten Reaktionen bei AIG-Kunden.“
Aber gerade den großen Konzernen, die zum 1. Oktober ihre Versicherungsprogramme neu aushandeln, dürften die Turbulenzen Bauchschmerzen bereiten. Georg Bräuchle aus der deutschen Geschäftsführung des US-Maklers Marsh sieht die Kunden in einer schwierigen Situation. „Sie wollen die Probleme, die das Unternehmen mit dem Aktienkurs hat, nicht noch durch den Abzug von Geschäft ausweiten.“ In der Branche hieß es, der Ausfall von AIG oder eine weniger bedeutende Rolle des US-Versicherungskonzerns würde die Preise deutlich nach oben bringen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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