In Osteuropa sehen Versicherer gewaltiges Potenzial – die wenigsten haben hier eine private Altersvorsorge oder Krankenversicherung. Und viele Regierungen wollen die staatliche Versorgung jetzt zurückfahren
VON Patrick Hagen
und Herbert Fromme
Nach solchen Wachstumszahlen lechzt die Assekuranz. 2007 legte die Lebensversicherung in Zentral- und Osteuropa um saftige 17 Prozent im Prämienvolumen zu, im Jahr zuvor um 19 Prozent. Im Vergleich dazu wirken die saturierten Märkte Westeuropas ausgelutscht, weil sie kaum noch Zuwächse generieren. In Deutschland stagnierten die Verkäufe der Lebensversicherer im vergangenen Jahr sogar.
Auch in der Schaden- und Unfallversicherung (Autos, Gebäude, Haftpflichtrisiken) legt Osteuropa kräftig zu, 2007 um zwölf Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland verbuchte die Sparte ein Minus von 0,4 Prozent.
Kein Wunder, dass alle großen europäischen Versicherer nach Osteuropa drängen. Der österreichische Versicherer Uniqa ist in fast allen Ländern der Region präsent. „Wir sind in 2007 in vielen der osteuropäischen Länder mehr als doppelt so stark gewachsen wie der Markt“, sagt Uniqa-Chef Konstantin Klien. Nur so habe das Unternehmen sein deutliches Ergebnisplus erreicht.
Auch die italienische Generali, die französische Axa, die angeschlagene amerikanische Gesellschaft AIG und der europäische Marktführer Allianz sind mit hohem Aufwand vertreten. Mittelgroße Gesellschaften wie der Dortmunder Versicherer Signal Iduna rechnen sich gute Chancen aus. Der Anbieter ist seit Neustem in Rumänien tätig, nach Polen und Ungarn. Auch Finanzvertriebe wie der Kölner OVB haben die neuen Märkte entdeckt und erzielen hier die größten Wachstumsraten.
Der Härtetest für die neuen Märkte kommt sehr bald. Denn viele Anbieter sind mit fondsgebundenen Produkten auf dem Markt, mit denen sich auch Kunden mit kleineren Einkommen an der Entwicklung der Kapitalmärkte beteiligen können. Die ist aber alles andere als positiv – dies könnte, fürchten Experten, dem Boom zumindest einen Dämpfer verpassen.
Deutschlands größter Versicherer Allianz ist weiter optimistisch, was die langfristigen Aussichten für die Region angeht. Die Nachfrage nach privater Altersvorsorge und Krankenversicherungen nehme zu, stellt Allianz-Chef Michael Diekmann fest. Das sei auch ein Ergebnis von Änderungen in den Sozialsystemen und in steuerlichen und anderen Anreizen für die private Vorsorge.
Insgesamt seien die Prämieneinnahmen in Zentral- und Osteuropa im vergangenen Jahr um 20 Prozent gestiegen, sagt Diekmann. In West- und Südeuropa dagegen habe es gerade mal Wachstumsraten von drei Prozent gegeben.
Allerdings ist die Basis, auf der diese hohen Zuwächse erzielt werden, gering. Pro Kopf gibt ein Einwohner Serbiens 103 $ pro Jahr für Versicherungen aus, ein Ukrainer 75 $ – verglichen mit 2662 $ in Deutschland und 1962 $ im europäischen Schnitt, hat der Rückversicherer Swiss Re errechnet. Da schlagen sich schon in der Summe kleine Erhöhungen in deutlichen prozentualen Steigerungen nieder.
Deshalb ist auch bei der Allianz „New Europe“, wie der Konzern die Region intern nennt, bisher nur von untergeordneter Bedeutung. Von den gesamten Beitragseinnahmen der Allianz 2007 in Höhe von 102 Mrd. Euro entfielen nur 13 Prozent auf die als Wachstumsregionen definierten Märkte – neben Osteuropa sind das Asien und der Mittlere Osten.
„Wir wollen dieses oder spätestens nächstes Jahr 15 Mrd. Euro in den Wachstumsmärkten erzielen“, sagt Werner Zedelius, der für Wachstumsmärkte zuständige Vorstand der Allianz. Im vergangenen Jahr kam der Versicherer in diesen Regionen auf Prämieneinnahmen von 12,8 Mrd.Euro. Bis 2011 will Zedelius die Prämieneinnahmen sogar auf 20 Mrd. Eurosteigern.
„New Europe“ umfasst vor allem die Länder Russland, Polen, Ungarn und die Slowakei. Hier stiegen die Beitragseinnahmen der Allianz im vergangenen Jahr um 21 Prozent auf 4 Mrd. Euro. Die Allianz ist optimistisch und will ihren Gewinn in Polen in den nächsten Jahren verdreifachen. In vier Jahren wolle sie 112 Mio. Euro verdienen, sagt Landeschef Pawel Dangel. Im vergangenen Jahr waren es 34 Mio. Euro.
Das Ziel ist auch deshalb ambitioniert, weil die Konkurrenz in Polen sehr heftig ist. Ein Grund ist die Präsenz des früheren Monopolisten PZU, der immer noch deutlich mehr als 50 Prozent Marktanteil hält.
Auch AIG ist stark in Osteuropa vertreten. Beobachter erwarten, dass AIG Teile seines Osteuropageschäfts verkaufen wird, um die Staatshilfen zurückzuzahlen. „Wir beobachten mit Argusaugen, was das jetzt für die AIG und ihre Position in den Märkten bedeutet“, sagt Allianz-Mann Zedelius.
Der russische Markt hat für die Allianz höchste Priorität. Sie ist dort nach eigenen Angaben der größte ausländische Anbieter. Zuletzt hat sie die Versicherer Rosno und Progress Garant übernommen. „Unser Appetit nach Übernahmen und Fusionen ist jetzt erstmal gesättigt“, sagt Rosno-Chef Hannes Chopra. Er erwartet, dass der russische Versicherungsmarkt in den nächsten Jahren um rund 16 Prozent im Jahr wachsen werde.
Die Axa hält eine Minderheit von 38 Prozent am russischen Versicherer Garantia. Auch die Zurich hat eine Gesellschaft gekauft. Die Versicherer wollen in den neuen Wachstumsregionen vor allem von Änderungen in der staatlichen Altersvorsorge profitieren. In zahlreichen Ländern Osteuropas stünden Rentenreformen bevor, sagt Zedelius.
Mit gezielter Lobbyarbeit drängen die Versicherer auf eine Stärkung der privaten Vorsorge. „Wir versuchen absolut, unsere Stimme geltend zu machen“, sagt Zedelius. Auch hier könnte die Kreditkrise das Geschäft für die Anbieter schwieriger machen.
Außer der Altersvorsorge setzt die Allianz auf Assistance-Leistungen. In Bratislava in der Slowakei hat der Konzern ein „Shared Service Centre“ aufgebaut, das länderübergreifend Dienste wie die Schadenbearbeitung anbietet. „Wir wollen 80 Prozent der Kundenanfragen telefonisch abwickeln“, sagt Allianz-Chef Diekmann. Täglich bearbeitet das Zentrum rund 55 000 Anrufe.
Quelle: Financial Times Deutschland
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