Anstelle von Geschäftsberichten analysiert die Risikoprüfung nunZukunftsaussichten
Noch nie war es für die Kreditversicherer so wichtig, das künftige Geschehen möglichst richtig einzuschätzen. Aber es war noch nie so schwer wie heute, eine treffende Einschätzung über die Entwicklung und das Schicksal ganzer Branchen oder einzelner Unternehmen abzugeben. Die Kreditversicherer versuchen deshalb mehr denn je, so viel Informationen über die Abnehmer ihrer Kunden so schnell wie möglich zu bekommen. „Unternehmen müssen eng mit den Kreditversicherern kooperieren“, sagt Carlo Ries vom Versicherungsmakler Südvers. „Wer nicht zeitnah informiert, bekommt keine Deckung mehr.“
Kreditversicherer versichern Unternehmen dagegen, dass deren Kunden pleitegehen und deshalb offene Rechnungen nicht bezahlen. In der Regel muss der Versicherungsnehmer bei einem Schaden zwischen 20 und 30 Prozent des Verlustes selbst tragen – er hat also ein großes Interesse daran, dass sein Kunde solvent ist. Auch in wirtschaftlich guten Zeiten untersuchen Kreditversicherer die Bonität der Abnehmer ihrer Kunden penibel. Sie unterhalten dazu riesige Datenbanken, holen Auskünfte bei Auskunfteien ein und stellen eigene Recherchen an. Doch in der gegenwärtigen Lage reichen die herkömmlichen Mittel nicht.
Die traditionellen Instrumente der Risikoprüfung wie die Analyse der Geschäftsberichte sind auf die Vergangenheit ausgerichtet. „In der derzeitigen Situation sagt die Vergangenheit aber nicht viel über das, was in Zukunft geschehen wird“, sagt Ulrich Nöthel, Risikodirektor bei Euler Hermes Deutschland. Die 350 Risikoprüfer des Marktführers müssen Überstunden machen, um die nötigen Informationen zusammentragen zu können. „Wir betreiben für die Recherchen mehr Aufwand als noch vor zwölf Monaten“, sagt er. Mit dem vor Kurzem abgeschlossenen Aufbau eines Netzwerks von 20 neuen Firmenanalysten verfügt Euler Hermes in Deutschland über speziell geschulte Mitarbeiter, die regelmäßig mit großen Unternehmen Gespräche führen. „Damit haben wir unsere Expertise weiter gestärkt“, sagt er.
Bei allen Anbietern laufen die Informationsmaschinen auf Hochtouren. „Die Versicherer bauen ihre Frühwarnsysteme aus“, sagt Makler Ries. Sie intensivieren den Kontakt zu Kunden. „Ein wichtiger Indikator sind Überfälligkeitsmeldungen“, erklärt Ries. Zahlen die Abnehmer nicht wie vereinbart, muss der Lieferant das seinem Kreditversicherer mitteilen. „Wenn zwei, drei Unternehmen einen Kunden melden, wird dessen Bonität herabgesetzt und die Deckung ist weg.“
Der Kreditversicherer Zurich holt von seinen Kunden und von deren Abnehmern zeitnah Informationen ein. „Wir schauen uns nicht nur die Zahlen, sondern das Unternehmen als Ganzes an“, sagt Marita Kraemer von Zurich. „Unser Fokus ist stärker noch als früher auf die Zukunft gerichtet.“ Der Versicherer will unter anderem wissen, wie die Auftragslage ist und mit welchen Maßnahmen sich Firmen auf einen Liquiditätsengpass vorbereiten.
Die Anbieter setzen darauf, dass ein früher Einblick vor bösen Überraschungen schützt. „Die Taktzahl, mit der wir neue Informationen einholen, hat sich erhöht“, sagt Peter Ingenlath von Atradius. Der Versicherer will rechtzeitig Pleitekandidaten identifizieren. „Unser Vorteil ist, dass der Lieferantenkredit ein kurzfristiges Geschäft ist“, sagt Ingenlath. „Wir können uns und unsere Kunden mit einer Reaktionszeit von sechs Monaten auf die neue Lage einstellen.“
Demonstrativ gelassen gibt sich dagegen der zu den Volks- und Raiffeisenbanken gehörende Kreditversicherer R+V. „Wir haben keinen Handlungsbedarf, flächendeckend etwas an unserer Risikoprüfung zu ändern“, sagt Rudolf Servatius von R+V. Der Versicherer ist auf Kunden mit einem Umsatz bis 5 Mio. Euro ausgerichtet. „Wir haben eine hohe Frequenz kleinvolumiger Schäden“, sagt er. Die Informationen aus diesen Schäden nutzt der Versicherer für die Risikoprüfung. „Mehr machen wir nicht anders als vorher.“
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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