In der Assekuranz verschwinden die traditionellen Grenzen. Die Rückversicherer machen zunehmend selbst Geschäfte mit den Großkonzernen und treten damit in Konkurrenz zu den Erstversicherern. Und sie setzen ihreStammkunden unter Druck
VON Herbert Fromme
Vor einem knappen halben Jahr, im Dezember 2008, verkaufte der kriselnde Versicherer American International Group (AIG) ein Filetstück: Der Spezialversicherer Hartford Steam Boiler (HSB) ist auf Versicherungen gegen den Ausfall von Maschinen und technischen Anlagen spezialisiert, ein weiteres Geschäftsfeld sind Inspektions-, Zertifizierungs- und Ingenieurdienstleistungen. Das Unternehmen hat einen hervorragenden Ruf und ist profitabel – es erzielte 2007 Bruttoprämieneinnahmen von insgesamt 1,1 Mrd. $. Der Gewinn nach Steuern betrug 158 Mio. $.
Den Zuschlag erhielt nicht einer der bekannten AIG-Konkurrenten wie Allianz, Axa, Ace oder FM Global. Die Münchener Rück machte das Rennen für den Schnäppchenpreis von 742 Mio. $. Und der Konzern platziert die Neuerwerbung nicht, wie zu erwarten wäre, in seiner Erstversicherungsgruppe Ergo, die für das Geschäft mit privaten oder geschäftlichen Endkunden zuständig ist. Der Rückversicherer führt dieses Geschäft selbst – in der Abteilung, die eigentlich nur den Großhandel des Risikotransfers betreibt, also mit anderen Versicherern Geschäfte macht. „Das Geschäftsmodell fügt sich passgenau in unser eigenes ein“, jubelt Münchener-Rück-Chef Nikolaus von Bomhard auf der Hauptversammlung am 22. April 2009.
Und HSB ist nicht der einzige Erstversicherer, der so von dem Münchener Branchenriesen direkt geführt wird. Da gibt es die Spezialgesellschaften Munich American Risk Partners und Great Lakes, den US-Versicherer The Midland, die im Londoner Markt Lloyd’s tätige Firma Watkins oder den Transportspezialisten Köln Assekuranz. Zusammen mit Warren Buffetts Berkshire Hathaway gehört der Münchener Rück das Londoner Luftfahrt-Versicherungsunternehmen Global Aerospace Underwriting Managers, einer der Weltmarktführer in der Versicherung von Fluggesellschaften.
In den rund 22 Mrd. Euro Prämieneinnahmen, die der Konzern für 2009 nur in der Rückversicherung erwartet, stammten 2,5 Mrd. Euro eigentlich aus dieser Art von Erstversicherung, so Vorstand Torsten Jeworrek. Und diese Zahl umfasst noch nicht HSB.
Die Grenzen zwischen Rück- und Erstversicherung verschwimmen in Teilbereichen aus gutem Grund immer mehr, vor allem in der Industrieversicherung. Wenn ein Weltkonzern eine Versicherungsdeckung einkauft, landet ein großer Teil davon ohnehin bei den Rückversicherern. Da ist es für die Einkäufer des Konzerns sinnvoll, direkt mit dem Rückversicherer zu verhandeln. Mit ihm sprechen sie auch ab, wie ihre hauseigenen Versicherer und Rückversicherer in das gesamte Deckungskonzept einbezogen werden.
Wird ein externer Erstversicherer gebraucht, steht eine Tochter des Rückversicherers bereit. Das gilt nicht nur für die Münchener, auch die Konkurrenten von der Swiss Re haben ausreichend Erstversicherungskapazität, um eine passend strukturierte Deckung zu bauen. Weitere Erstversicherer bräuchten die beiden Seiten eigentlich nicht, nehmen sie aber oft trotzdem an Bord – schon deshalb, weil so die Risiken noch breiter gestreut werden.
Auch in der klassischen Form der Industrieversicherung spielen die Rückversicherer eine entscheidende Rolle, etwa in der Kreditversicherung: Erstversicherer wie Euler Hermes, Atradius oder Coface geben meist mehr als die Hälfte ihrer Prämieneinnahmen und Risiken weiter an Rückversicherer. Denn die Kreditversicherung, mit der Lieferanten sich vor Zahlungsausfällen ihrer Kunden schützen, ist hoch volatil. Wollte ein Erstversicherer das Risiko allein tragen, wäre ungeheuer viel Eigenkapital nötig – ohne das Risiko zu mindern, dass zwei, drei große Pleiten von Baufirmen, Einzelhändlern oder Autokonzernen ihn umwerfen. Durch die Weitergabe an die Rückversicherer und die damit verbundene Streuung sinkt die Insolvenzgefahr für jeden einzelnen Beteiligten in der Deckungskette.
Das Preisverhalten der Rückversicherer schwingt deshalb immer mit, wenn Industrieversicherer mit ihren Kunden Abschlüsse aushandeln. In der Kreditversicherung fahren die großen Anbieter Münchener Rück und Swiss Re ihre Kapazität deutlich zurück, weil sie eine Pleitewelle als Folge der Rezession fürchten. Das führt auch bei den Erstversicherern zu Angebotsverknappungen.
Nicht durchsetzen konnten sich die Rückversicherer dagegen mit ihrem Versuch, auch in der deutschen Autoversicherung deutlich höhere Preise durchzusetzen. Weil die meisten Versicherer große Zahlen von Fahrzeugen abdecken, deren Risiken sich ausgleichen, kaufen sie weniger Rückversicherung und tragen mehr Risiken selbst. Bislang ist der Versuch der Rückversicherer, auch hier deutliche Preisanhebungen zu erzwingen, gescheitert.
Quelle: Financial Times Deutschland
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