Der Abschwung trifft Industrieversicherer und Kunden. Wie sich das Kräfteverhältnis verändert, ist bislang nicht klar. Noch ist alles ruhig – aber die nächsten Monate könnten vieles verändern
VON Herbert Fromme
Erfreulich sind solche Gespräche nicht. Der Automobilzulieferer hat große Probleme und muss drastisch sparen – überall. Auch bei der Versicherung, lautet die Vorgabe des Vorstands. Der Industrieversicherer auf der anderen Seite will die Preise erhöhen. Das jetzige Ratenniveau sei nicht risikoadäquat, schließlich habe auch bei dem Versicherer die Finanzkrise zugeschlagen und für Abschreibungen und sinkende Gewinne aus Kapitalanlagen gesorgt.
Jetzt müssen zwei Manager, die sich seit Langem kennen und viele Verträge ausgehandelt haben, mit diesen unterschiedlichen Vorgaben fertig werden. Oft sitzt der Versicherungsmakler als Dritter am Tisch.
Die Finanzkrise schüttelt auch die Industrieversicherung durch. „Wir haben in den letzten Monaten ein paar Dinge erlebt, die kaum jemand für möglich gehalten hätte“, sagt Günter Schlicht, geschäftsführender Vorstand des Deutschen Versicherungs-Schutzverbands (DVS). Er vertritt Industrie, Gemeinden und andere große Kunden in Versicherungsfragen. „Der einst weltgrößte Versicherer, ein stolzes Unternehmen, entgeht nur mit Mühe und massiver staatlicher Unterstützung der Insolvenz“, sagt Schlicht mit Blick auf den Giganten American International Group (AIG).
AIG ist nicht der einzige Versicherer, der Probleme hat. Die Bermuda-Gesellschaft XL Capital, die als Rück- und Industrieversicherer arbeitet, hatte sich ebenso wie der weltweit zweitgrößte Rückversicherer Swiss Re mit der Absicherung von Kreditderivaten Verluste eingefangen.
Der beste und billigste Versicherer taugt nichts, wenn er im Ernstfall nicht zahlen kann. Die Industriekonzerne haben das Problem, dass ihnen der Maßstab für die Auswahl eines finanzstarken Versicherers abhanden gekommen ist. Bislang haben sie sich fast blind auf die Rating-Agenturen verlassen. Dieses Vertrauen wankt, ebenso das in die bisherige staatliche Aufsicht. „Die Amerikaner führen nach der letzten Krise das Sarbanes-Oxley-Gesetz ein und machen Compliance zum Credo für die ganze Welt. Und was passiert? AIG und Madoff“, beschwert sich der Versicherungseinkäufer eines europäischen Konzerns.
Eine effizientere Finanzaufsicht steht inzwischen ganz oben auf der Wunschliste der Versicherungseinkäufer. Dabei verlangen sie aber Augenmaß – vor allem, wenn es um die Anwendung der neuen Eigenkapitalstandards nach Solvency II auf die zahlreichen eigenen Versicherer geht, die Konzerne von Lufthansa bis Bayer aus Steuer- und Risikogründen besitzen. Da hat die Finanzaufsicht BaFin Entgegenkommen signalisiert. Mit den Bemühungen der EU-Kommission, die Konkurrenz unter den Versicherern zu beleben, sind die Kunden dagegen sehr einverstanden. Das gilt für den Plan, die Freistellung der Branche von Kartellregeln in Teilen nicht zu verlängern.
Ohnehin herrscht bei den Kunden in der Industrie Argwohn vor, wenn es um das Funktionieren des Wettbewerbs geht. DVS-Mann Schlicht verweist auf den zurzeit in Düsseldorf stattfindenden Kartellprozess, der sich mit Wettbewerbsverstößen der Versicherer vor neun Jahren befasst. „Es gibt eine Marktsituation, die in der Vergangenheit Wettbewerbsprobleme beschert hat“, sagt Schlicht. Das sei der Fall, wenn die Assekuranz unisono von dringend nötigen Preisanhebungen und der Unvernunft in den eigenen Reihen spreche.
Der Industrieversicherungsmarkt ist vergleichsweise klein und notorisch intransparent. So gibt es keine umfassenden Statistiken. Der Gesamtmarkt dürfte irgendwo um 18 Mrd. Euro bis 20 Mrd. Euro liegen – die Assekuranz insgesamt kommt auf 165 Mrd. Euro. Ähnlich kontrovers ist die Diskussion um Marktanteile – auch deshalb, weil die Unternehmen das Industriegeschäft unterschiedlich definieren. Klar ist jedenfalls, dass Allianz und HDI-Gerling Marktführer sind. Umstritten ist, wer vorne liegt. Ebenfalls gut im Geschäft sind die öffentlichen Versicherer, Zurich, Axa, R+V und Gothaer. Trotz seiner Probleme hält AIG bislang seine Marktstellung. Auch Ace, FM Global und XL spielen eine Rolle.
Außer AIG und XL haben alle Anbieter die Finanzkrise bislang gut überstanden. Der Allianz-Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Specialty ist einer der profitabelsten Unternehmensteile des blauen Riesen. Auch HDI-Gerling Sach hat gute Zahlen vorgelegt.
Für die Einkäufer der Industrie sind das Argumente, die auch nach fünf Jahren fallender Preise gegen Prämienerhöhungen sprechen. Doch die Assekuranz sieht einen „härteren Markt“. Darunter versteht sie die Tendenz zu höheren Preisen. „Es gibt noch keinen flächendeckenden Trend nach oben, aber die Preise sinken auch nicht mehr“, sagt Christian Hinsch, Vorstandsmitglied bei Talanx und Chef von HDI-Gerling Sach. Die Makler sehen den Trend ähnlich. „Schon im zweiten Halbjahr 2008 zeigten die ersten Sparten steigende Preise, darunter die Kreditversicherung und Versicherungen für die Finanzwirtschaft“, so der Großmakler Marsh. In allen anderen Sparten seien die Prämien zwar leicht zurückgegangen. Das werde es 2009 aber nur vereinzelt geben.
Für den Autozulieferer, der Prämien sparen will, gibt es da nur eins – er muss auf Deckungen verzichten oder einen höheren Selbstbehalt vereinbaren, also mehr Risiken selbst übernehmen. Der DVS-Vorsitzende und Siemens-Versicherungschef Stefan Sigulla sieht diesen Trend für den Gesamtmarkt: „Das geht weg vom Versichern nach Risiko und hin zum Versichern nach Budget.“ In einer solchen Lage würden Preiserhöhungen „schlicht verpuffen“. Die Änderung des Deckungsumfangs sei der jetzt beschrittene Weg, bestätigt R+V-Manager und Kravag-Vorstand Tassilo Sigg. „Man diskutiert Selbstbehalte und andere Modelle.“ Höhere Schäden wegen der Finanzkrise kann die Branche außer in Kreditversicherung und Managerhaftpflicht noch nicht feststellen. Mehr Brandstiftungen gebe es nicht. „Im Gegenteil, die deutsche Industrie geht sehr vorsichtig mit ihren Anlagen um“, sagt Sigg.
Quelle: Financial Times Deutschland
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