Unternehmen fürchten, dass sie infolge der Pleitewelle auf offenen Rechnungen sitzen bleiben. Sie werfen Versicherern vor, gerade jetzt den Schutz davorherunterzufahren
Von Herbert Fromme
Die Insolvenzverwalter gehören zu den wenigen Berufsgruppen, die Hochkonjunktur haben. Dem Zusammenbruch der Arcandor-Gruppe werden viele Pleiten folgen. Der Kreditversicherer Euler Hermes, eine Tochter des Allianz-Konzerns, spricht von einem „Insolvenzschock in 2009“. Die Experten von Euler Hermes rechnen mit einer Zunahme der Pleiten in diesem Jahr um fast 20 Prozent auf 35 000 Fälle, für 2010 prognostizieren sie noch einmal eine Steigerung um elf Prozent auf 38 900 bankrotte Unternehmen.
Das hat auch für eigentlich gesunde Betriebe harte Konsequenzen. Hersteller und Dienstleister müssen fürchten, auf enormen Außenständen sitzen zu bleiben. Nach den Erwartungen von Euler Hermes wird der Wert der offenen Forderungen 2009 um fast 36 Prozent auf gewaltige 30 Mrd. Euro steigen, 2010 auf 33 Mrd. Euro. „Eine gute Finanzkommunikation und ein effizientes Forderungsmanagement sind jetzt wichtiger denn je“, sagt Gerd-Uwe Baden, Vorstandschef von Euler Hermes in Deutschland.
Viele seiner Kunden werden das als Hohn empfinden. Industrieverbände kritisieren lautstark, dass die Kreditversicherer ihren Mitgliedern gerade jetzt ein wichtiges Instrument für ein effizientes Forderungsmanagement verweigern: die Warenkreditversicherung. Die Zulieferer der krisengebeutelten Branchen wie der Automobilindustrie lösen mit diesem Instrument für gewöhnlich ein Dilemma: Sie wissen um die Probleme ihres Kunden, können sich aber nicht leisten, auf Vorkasse oder Sicherheiten zu bestehen. Aus diesem Grund suchen Unternehmen Deckung bei Kreditversicherern. Die springen ein, wenn der Abnehmer wegen einer Pleite nicht zahlt.
Bevor die Versicherer Verträge schließen, prüfen sie die wirtschaftliche Lage des Abnehmers eingehend. Ist sie schlecht, reduzieren sie die Deckung oder verweigern sie. Ihr Risikomanagement funktioniert. In Bezug auf die kritischen Branchen haben die Frühwarnsysteme der Kreditversicherer schon längst angeschlagen – gelegentlich auch deshalb, weil Lieferanten ihren Kunden in der Krise verlängerte Zahlungsfristen einräumen. Denn die Fristen, innerhalb derer eine Firma ihre Rechnungen zahlt, gehen neben der Bilanz und Branchendaten in das feine Beobachtungsraster der Kreditversicherer ein. Die Folge: Sie stutzen bestimmte Deckungen deutlich zusammen – statt alle Lieferungen der Firma A an das Unternehmen B bis 20 Mio. Euro zu versichern, decken sie jetzt nur noch 5 Mio. Euro oder gar nichts ab, wenn es sich bei B um einen Hersteller von Kfz-Komponenten handelt. Das ist umso bitterer als auch die Banken den Lieferanten die Kreditlinien rigide kürzen, also die Liquidität insgesamt bedroht ist.
„Die Kreditversicherer haben sich in der öffentlichen Wahrnehmung recht unbeliebt gemacht“, sagt Günter Schlicht vom industrienahen Deutschen Versicherungs-Schutzverband (DVS). Gerade Mittelständler werfen den Anbietern vor, sie in der Krise allein zu lassen und bei der Risikobewertung zu pauschal vorzugehen. Jetzt soll die Regierung eine Staats-Rückdeckung gewähren.
Die Kreditversicherer wehren sich. „Wir sehen auf reiner Faktenbasis keinen Handlungsbedarf“, sagt Peter Ingenlath, Vorstand des Kreditversicherers Atradius und Vorsitzender des Fachausschusses der deutschen Versicherungswirtschaft. Die Branche will trotzdem bei einer staatlichen Lösung mit Know-how und Infrastruktur helfen.
Der aktuelle Konflikt offenbart den erschreckenden Mangel an Risikobewusstsein bei vielen Unternehmen, gerade im Mittelstand. Kreditversicherung war jahrelang billig, niemand hatte erwartet, dass diese günstige Quelle der Absicherung von Lieferantenkrediten versiegen könnte. Über Alternativen dachten die meisten Entscheider nicht nach. Ein typischer Fall von groben Fehlern im Risikomanagement. Auf eine Liquiditätsklemme, wie sie jetzt droht, hätten sich viele Unternehmen vorbereiten können, etwa mithilfe von Leasing. In der Krise selbst gibt es kaum Alternativen zur Kreditversicherung. Beim Factoring, also dem Verkauf offener Rechnungen an darauf spezialisierte Gesellschaften, stoßen die Firmen wieder auf die Kreditversicherer. Sie sichern diese Geschäfte ab.
Die Kreditversicherer fühlen sich zu Unrecht angegriffen. Sie argumentieren, sie könnten kein brennendes Haus versichern – und die Branche habe ihre gesamten Zusagen nur wenig reduziert. „Ende März 2009 hatten die Kreditversicherer offene Forderungen von 274 Mrd. Euro abgesichert, Ende Dezember 2008 waren es 286 Mrd. Euro“, sagt Ingenlath. Dieser Rückgang sei im Wesentlichen den fallenden Preisen und der Krise zuzuschreiben. Von einem Deckungsnotstand könne keine Rede sein. Außerdem handelten die Anbieter auch im Interesse des Versicherten. Denn der muss bei jedem Schaden einen Selbstbehalt von in der Regel 20 Prozent tragen.
Die Kunden überzeugt das nicht. „Die betroffenen Branchen klagen unverändert darüber, dass die Kreditversicherer ihnen durch ihr Verhalten die Luft zum Atmen nehmen“, sagt DVS-Mann Schlicht.
Quelle: Financial Times Deutschland
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