Assekuranz wirft Bilanzkommission IASB Fundamentalismus vor ·Aktieninvestments erschwert · Regierung beunruhigt
Von Herbert Fromme, Köln
Zwischen dem Londoner Bilanzregelausschuss International Accounting Standards Board (IASB) und weiten Teilen der Bank- und Versicherungsbranchen knirscht es heftig. Auch die Regierungen in Berlin und Paris zeigen sich beunruhigt. Sie befürchten, dass sich große Anleger künftig vollständig aus Aktien zurückziehen könnten, weil das IASB darauf besteht, dass Wertschwankungen sich künftig immer aktuell in den Ergebnissen widerspiegeln. Das IASB und das Bundesministerium der Finanzen waren am Freitag für Stellungnahmen nicht zu erreichen. Insider sprechen von „äußerster Missstimmung“, weil das Board den Regierungen nicht entgegenkommen wolle.
Angesichts der Finanzkrise hatten die EU-Finanzminister den IASB-Vorsitzenden David Tweedie am 9. Juni gebeten, Erleichterungen für die Finanzbranchen in der Kernrichtlinie IASB 39 vorzusehen, die sich mit der Zeitwertbilanzierung befasst. Diese Bewertung soll die Finanzbranche zwingen, Vermögenswerte zum Marktwert zu bilanzieren. Das IASB will in den kommenden Tagen Vorschläge unterbreiten, die Sitzungen dazu fanden in der vergangenen Woche statt.
Oliver Bäte, Vorstandsmitglied der Allianz SE und dort demnächst für die Finanzen zuständig, sagte, er sei besorgt über die aktuelle Entwicklung. „Ich würde mir wünschen, dass das IASB akzeptiert, dass es auch eine Verantwortung für die Finanzmarktstabilität hat.“ Dann müssten die Buchhaltungs- und Bilanzierungsregeln so gestaltet werden, dass die Finanzmarktstabilität nicht gefährdet sei, sagte Bäte.
Die Versicherer argumentieren, sie hätten sehr lang laufende Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden in den Büchern. Da mache es wenig Sinn, die Wertpapiere, mit denen diese Verpflichtungen bedeckt sind, vollständig zu stark schwankenden Kursen zu bilanzieren. In der Finanzkrise sorgen diese Vorschriften für hohen und schnellen Abschreibungsbedarf.
„Beim IASB ist genau das Gegenteil von dem passiert, was die EU-Finanzminister wollten“, sagte Carsten Zielke, Analyst bei Société Générale in Frankfurt. Als Mitglied der European Financial Reporting Advisory Group berät Zielke die EU-Kommission in Bilanzierungsfragen. Beim IASB hätten sich in den vergangenen Tage diejenigen durchgesetzt, die für eine sehr strikte Darstellung von Verlusten und Gewinnen aus Aktien und strukturierten Produkten in den Abschlüssen der Banken und Versicherer einträten. „Nur Anleihen, die einen ganz einfachen Coupon haben, können zu Einstandskosten gebucht werden, wenn sich dieser Ansatz durchsetzt“, erläuterte Zielke. „Aktien und Finanzprodukte mit eingebetteten Derivaten müssen voll durch die Gewinn- und Verlustrechnung gezogen werden.“
Die Folge wäre, dass Gewinne und Verluste großer Anleger wie Versicherer und Banken von Quartal zu Quartal heftig mit den Marktwerten von Aktien schwanken. Hat ein Unternehmen für 100 Mio. Euro Aktien zum Kurs von je 100 Euro gekauft und sinkt der Aktienkurs um 20 Prozent, muss es in der nächsten Gewinn- und Verlustrechnung einen Verlust von 20 Mio. Euro zeigen – steigen die Kurse, einen Gewinn.
Diese scharfen Schwankungen sorgen dafür, dass Banken und Versicherungen für solche Kapitalanlagen sehr hohe Summen an Eigenkapital vorhalten müssten. Für die Versicherer legen das die anstehenden EU-Eigenmittelvorschriften Solvency II fest. „Große institutionelle Investoren können es sich gar nicht mehr leisten, Aktien oder auch strukturierte Produkte zu halten“, sagte Zielke.
„Das wird von den Bilanz-Ayatollahs getrieben“, sagte ein Versicherer, der namentlich nicht genannt werden wollte.
In Europa und anderen Teilen der Welt wird mit den vom IASB erarbeiteten Bilanzierungsregeln International Financial Reporting Standards (IFRS) gearbeitet. Daneben gibt es nationale Bilanzstandards, die oft parallel zu IFRS verwendet werden und weniger strikt sind. In den USA gelten die Generally Accepted Accounting Standards (US-GAAP). Dort erleichterte das Financial Accounting Standards Board im April die Anforderungen an Banken und Versicherer bei der Zeitwertbilanzierung.
Bereits vor zwei Wochen hatte Axa-Chef Henri de Castries Änderung an IFRS verlangt. „Wir haben im Durchschnitt Verpflichtungen gegenüber unseren Lebensversicherungskunden mit einer Laufzeit von acht Jahren und mehr“, sagte er. „Wir müssen aber unsere Wertpapiere, die diese Verpflichtungen bedecken, auf Quartalsbasis bewerten.“ Die Kurzfristbetrachtung wirke sich negativ auf das Ergebnis aus.
ftd.de/bilanzierung
Streit um Bilanzregeln
Quelle: Financial Times Deutschland
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