Im Geschäft mit den Endkunden lässt sich viel Geld verdienen. Das lockt jetztauch die Rückversicherer. Dabei laufen die Gesellschaften Gefahr, ihreeigentliche Zielgruppe vor den Kopf zu stoßen
Sie gelten als die Giganten der Assekuranz, aber im Vergleich zu den Prämieneinnahmen der Erstversicherer wirken die von den Rückversicherern verbuchten Beiträge geradezu klein. Fast 20-mal so viele Prämien verdienten die Erstversicherer 2008 weltweit. Ein so großer Kuchen weckt Begehrlichkeiten. Rückversicherer drängen zunehmend auf den Erstmarkt mit den Endkunden – auch deshalb, weil ihr eigenes Kerngeschäft eher schrumpft. Traditionell liegt das Geschäft mit Privatleuten, Gewerbe und Industrie in Händen der Erstversicherer. Von Allianz über Generali bis zur Zurich liefern sich diese Anbieter einen harten Wettbewerb. Damit Großschäden oder Schadenshäufungen sie nicht ruinieren, kaufen sie Deckungen bei Rückversicherern. Will ein Rückversicherer selbst mit Privatleuten oder Unternehmen ins Geschäft kommen, kann er schnell den eigenen Kunden ins Gehege kommen. „Das ist immer ein Balanceakt“, sagt Wolfgang Hoffmann, Principal bei Towers Perrin.
Ein Paradebeispiel im Direktversicherungsgeschäft ist der Weltmarktführer Munich Re. Zum einen hat er die Tochter Ergo, die mehrere Erstversicherer wie Hamburg-Mannheimer und Victoria steuert. Zum anderen machen die Münchner selbst direkt Geschäfte mit Versicherungsnehmern. Dazu gehören die sogenannten Piri-Aktivitäten – Primary Insurance out of Reinsurance.
Zum Teil haben diese Unternehmungen schon immer zum Geschäft eines Rückversicherers gehört, erklärt Thomas Lallinger, Leiter des Bereichs Unternehmensentwicklung bei Munich Re. Geht es um industrielle Großrisiken, sitzen Rückversicherer bei den Verhandlungen mit den Kunden traditionell mit am Tisch. Denn die Erstversicherer müssen einen beachtlichen Teil rückversichern – und die Großkonzerne als Kunden wollen ohnehin wissen, wer ihre Risiken letztendlich deckt.
Den Erstversicherern fehlen oft die Spezialisten, um ein bestimmtes Risiko zu beurteilen. „Es gibt zum Beispiel auf der ganzen Welt nur eine Handvoll Experten für Bergbaugroßrisiken, und die sitzen vor allem bei Rückversicherern“, sagt Lallinger. Besonders in einigen Spezialgebieten wächst das Erstversicherungsgeschäft. „Nischen gibt es für jeden Geschmack“, so Lallinger.
Ein Beispiel dafür sind die Nummernschilder von Oldtimern. Die sind in Großbritannien bei Sammlern hochbegehrt und werden häufig gestohlen. Versichern können sich Autobesitzer dagegen bei der Munich-Re-Tochter Three Lions. Deutlich größere Risiken übernimmt Munich Re mit Erstversicherungstöchtern wie Munich American Risk Partners oder Watkins Syndicate.
Gelegentlich erwirbt sie auch selbst Spezialanbieter, so im vergangenen Jahr Hartford Steam Boiler (HSB) von dem ins Taumeln geratenen US-Versicherungsriesen AIG. Solche Gelegenheiten gibt es aber selten, sagt Lallinger. „Wenn es noch weitere HSB gäbe, würden wir uns die sehr gerne anschauen.“ Die Münchener Rück fasst ihre Erstversicherer außerhalb der Ergo gerade zusammen. Künftig sollen alle als „Munich Re Risk Solutions“ auftreten.
Lallinger sieht kaum die Gefahr, einem Kunden Konkurrenz zu machen. „Wir haben noch nie ein strukturelles Problem mit einem Kunden gehabt, auf den wir als Wettbewerber getroffen wären.“ Allerdings hat die Munich Re schon vom Kauf eines spezialisierten Anbieters Abstand genommen, weil sie Interessenkollisionen mit Erstversicherern fürchtete.
Auch der Weltmarktzweite Swiss Re beschränkt sich nicht auf die Rückversicherung und bietet Erstversicherung an etwa im Bereich Luftfahrtrisiken. Die Schweizer sehen darin ebenfalls keine Gefahr für Kunden. „Wir haben strikte Firewalls zwischen den Bereichen“, sagt Rudolf Flunger, Chef der Division Insurance & Specialty. „Gleichzeitig profitieren unsere Kunden von der Expertise, die wir im Laufe der Zeit in den Bereichen aufgebaut haben.“ Deshalb sei das Unternehmen grundsätzlich auf weiteres Wachstum aus.
„Die Rückversicherer wissen in der Regel sehr genau, in welchen Bereichen ihre Kunden empfindlich reagieren“, bestätigt Towers-Perrin-Experte Hoffmann. Aktivitäten auf dem Erstversicherungsmarkt könnten für sie sowohl die Möglichkeit bieten, neues Rückversicherungsgeschäft zu generieren, als auch ein attraktives Investment sein. „Es ist ja Rückversicherern nicht verboten, auch mit Erstversicherung Geld zu verdienen“, sagt Hoffmann.
Katrin Berkenkopf
Quelle: Financial Times Deutschland
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