Die Fusionswelle unter den Krankenkassen hält an. Größe gilt als wichtig, umim Wettbewerb zu bestehen. Allerdings glauben nicht alle Akteure daran
VON Anja Krüger
und Herbert Fromme
Es ist ein ungemein schneller Konzentrationsprozess in einem bereits extrem konzentrierten Markt: Die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen schrumpft dramatisch. Im Jahr 1970 gab es noch 1815 Kassen, 1995 mit 960 rund die Hälfte, zum 1. Oktober 2009 noch ganze 184. „In keiner anderen Branche gibt es so eine große Konzentration“, sagt Hans Unterhuber, Chef der traditionsreichen Betriebskrankenkasse Siemens (SBK). Schließlich sind die 184 Kassen für rund 70 Millionen Kunden zuständig. Für die finanzielle Betreuung der 80 Millionen Bundesbürger gibt es mehr als 2200 Kreditinstitute.
Aber vielen ist die Zahl der Kassen immer noch zu hoch. Die ehemalige SPD-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt findet, dass 30 bis 50 Kassen reichen. Die neue Bundesregierung hat sich bislang nur vage zum Thema geäußert. Fest steht aber: Die weitaus meisten Akteure im Gesundheitswesen wollen mehr Fusionen. Zum 1. Januar rollt die nächste Welle an. Dann schließen sich fast 20 weitere Kassen zusammen. Mit der Fusion von Barmer und Gmünder Ersatzkasse entsteht mit 8,6 Millionen Versicherten die bundesweit größte Kasse. Der Nachteil, so Unterhuber: „Für Versicherte gibt es weniger Wahlmöglichkeiten.“ Das schränke den Wettbewerb ein.
„Ich rechne fest mit weiteren Fusionen“, sagt Reiner Will, Chef der Kölner Rating-Agentur Assekurata. Die erwarteten Kostensenkungen seien nur ein Grund dafür. Sei eine Kasse bei den Betriebsmitteln und Rücklagen – den entscheidenden Reserven – schwach auf der Brust, könne ein Zusammenschluss sinnvoll sein. „Auch die Zusammensetzung der Versicherten spielt eine Rolle.“ Denn nach der Zusammensetzung der sogenannten Risiko-Kollektive entscheidet sich die Position der einzelnen Kasse im Risikostrukturausgleich unter den gesetzlichen Krankenkassen.
Doch Kassenmanager Unterhuber hat große Zweifel. „Es wird so getan, als gäbe es belegbare Fakten, dass größer auch besser bedeutet“, kritisiert er. Von den Fusionsfans wird gerne vorgebracht, dass die Beitragszahler die üppigen Gehälter zu vieler Vorstandschefs tragen müssen. „Jeder Bereichsleiter einer großen Krankenkasse verdient mehr als ich“, antwortet Unterhuber.
Größe bedeutet in der Tat nicht zwangsläufig geringere Verwaltungskosten. 2006 hatte die Deutsche Angestellten-Krankenkasse mit damals 4,7 Millionen Mitgliedern Netto-Verwaltungskosten pro Kopf von 182 Euro, die BKK mobil Oil mit 0,7 Millionen 85 Euro, die SBK lag mit damals 500 000 Mitgliedern bei 139 Euro.
Ohnehin sind die Synergieeffekte nach einer Vereinigung bei den Personalkosten gering. „Bei einer Fusion müssen alle Arbeitsplätze erhalten bleiben, sonst stimmen die Gremien nicht zu“, berichtet Unterhuber. Ein Argument lässt der Kassenmanager allerdings gelten: mit der Zahl der vertretenen Versicherten steigt die Verhandlungsmacht. Gegenüber Pharmaherstellern oder Lieferanten von Hilfsmitteln wie Rollatoren können die Kassen höhere Rabatte aushandeln. Aber dafür müssen sie nicht gleich fusionieren. „Sie können auch kooperieren“, sagt er.
Unterhuber ist kein Fundamentalist. Sinnvolle Zusammenschlüsse befürwortetet er. Seine Kasse fusioniert zum 1. Januar mit einigen Partnern aus Baden-Württemberg und wird dann 950 000 Versicherte haben. „Diese Kassen haben eine Kundschaft, die zu unserer passt“, sagt er. Sie bringen vor allem hoch qualifizierte Facharbeiter und Ingenieure mit. Eine homogene Versichertenstruktur ist von Vorteil, weil die Kasse effektiv und zielgerichtet Serviceleistungen etwa zur Prävention anbieten kann.
Ein ganz andere Geschäftspolitik verfolgt die junge BKK Essanelle, die erst 2002 gegründet wurde. Sie ist aus dem Stand vor allem durch Fusionen rasant gewachsen. Zurzeit zählt sie fast eine halbe Million Versicherte. Vorstandschef Jürgen Hahn reicht das nicht. „Wir wollen 2011 eine Million haben“, sagt er. „Dann hätten wir eine akzeptable Größe.“ Im Gegensatz zu seinem Kollegen Unterhuber ist Hahn fest davon überzeugt, dass die Größe einer Kasse einer der entscheidenden Faktoren für den Erfolg ist. Um zu wachsen, hat die BKK Essanelle sogar einige Sorgenkinder der Branche übernommen, darunter die BKK Bavaria und die BKK AKS.
Größe ist wegen der mit ihr verbundenen Marktmacht entscheidend, sagt Hahn. „Krankenkassen bewegen sich in einem Haifischbecken“, erklärt er. „Je größer die Einheit ist, desto ernster wird sie von Wettbewerbern und anderen Akteuren genommen.“
Eine große Kasse kann Expertise im eigenen Haus vorhalten. Spezialisten, die sich im Detail mit dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich auskennen, sind im Kampf um die Aufteilung der Mittel wichtig. Leistet sich eine Kasse eigene Mediziner, kann sie bei Bedarf schnell eine Hotline etwa zur Schweinegrippe einrichten. „Mit eigenen Fachkräften kann man flexibler reagieren“, sagt Hahn. Er geht davon aus, dass das von Ulla Schmidt ausgerufene Ziel von 30 bis 50 Kassen realisiert wird. „Das reicht auch zur Erhaltung der Artenvielfalt“, sagt er.
Quelle: Financial Times Deutschland
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